Iberische Reise Auf den Spuren des Decimus Iunius Brutus

Ruinen des Castros Monte Santa Tecla. © Torsten Kreutzfeldt

Unterwegs in Sachen „lebendige Geschichte“: Torsten Kreutzfeldt, der sich als Darsteller den frühmittelalterlichen Stadtbewohnern in Zentralspanien widmet, reiste nach Iberien.

Unterwegs zu den Castros

Für die Beschäftigung mit „lebendiger Geschichte“ (Living history) ist die Recherche oberstes Gebot. Dazu gehört zuweilen auch eine Ortsbesichtigung. Für unsere Darstellungen erforschten wir die Geschichte Spaniens im Sommer dieses Jahres vor Ort – oder wie wir es anders ausgedrückt haben: in der „Heimat“.

Da wir den Großraum Madrid möglichst meiden wollten, lag unser Startpunkt in Portugal, genauer gesagt in O Porto am Duero. Unser erstes Reiseziel lag entsprechend nicht in Zentralspanien, sondern zwischen den Flüssen Duero und Miño. Wir waren den so genannten Castros auf der Spur, einer eisenzeitlichen Kultur, die sich vom Ende der Bronzezeit bis hinein in die römische Provinzkultur verfolgen lässt, und im Zuge der Romanisierung unterging. Ihren Namen erhielt sie von den befestigten Plätzen in Nordportugal und Nordwestspanien (Galicia), den Castros (Burgen, lat. castrum). Bis heute ist „Castro“ übrigens ein in Galicia weit verbreiteter Nachname, der bis nach Kuba ausgestrahlt hat.

Der Tod eines Helden: Viriatus

Bevor wir uns aber überhaupt mit den Castros beschäftigen können, müssen wir zunächst einen Helden sterben lassen. Im Verlauf des Krieges gegen Hannibal fielen den Römern die karthagischen Besitzungen auf der iberischen Halbinsel in die Hand. Sie glaubten, ein leichtes Spiel dort zu haben. Hatte nicht auch Hannibals Vater Hamilkar Barkas innerhalb von kurzer Zeit die meisten Landesteile unterworfen? Schon wurde Hispania in zwei Provinzen geteilt: Hispania ulterior im Westen und Hispania citerior im Osten.

Die Römer waren zu optimistisch. Sie brauchten fast 200 Jahre, bis sie die Halbinsel vollständig unterworfen hatten. Die Eroberung Spaniens durch die Römer war also mühsam und kann hier nicht in Einzelheiten ausgeführt werden. Den Hauptwiderstand in der Hispania ulterior leistete ein Feldherr oder Kriegshäuptling der Lusitanier, den die Römer Viriatus nannten. Der Hirte, Räuber und geniale Feldherr, der die Guerilla-Taktik schon anwandte, als es noch keinen Namen dafür gab, drängte die Römer acht Jahre lang in eine beschämende Defensive. Er plünderte die Provinz aus und konnte erst 139 v.Chr. durch schnöden Verrat beseitigt werden. Aus den Soldaten des Viriatus wurden Siedler, die Hispania ulterior war befriedet (im Gegensatz zur Hispania citerior, in der die Stadt Numantia noch bis 133 v.Chr. heftigen Widerstand leistete). Nun war die Zeit für die Stadt und das Volk von Rom gekommen, weiter vorzustoßen. Der Konsul Decimus Iunius Brutus erhielt dazu den Auftrag.

Auf den Spuren von Brutus

Der Feldzug von Iunius Brutus galt der weiteren Befriedung Lusitaniens und der Befriedigung der persönlichen Beutegier des Konsuls. Bei Widerstand ging er mit äußerster Grausamkeit vor. Unterstützt wurde er bei den Operationen von einer Flotte, die sich entlang der Küste bewegte und den Vormarsch auch bei der Überquerung der großen Flüsse gewährleistete. Doch die Beute in Lusitanien genügte Brutus nicht, er überschritt den Duero und hatte nicht nur gegen den bisher unbekannten Stamm der Galläker, sondern auch gegen den Aberglauben seiner Männer zu kämpfen. Den Aberglauben überwand er und die Galläker wurden in einer Schlacht in den Junitagen des Jahres 137 v.Chr. besiegt. Auf seinen Vormarsch scheint er auch den Castro mit heutigen Namen Cividade de Terroso zerstört zu haben. Dort fanden die Archäologen einen Brandhorizont, der sich ungefähr in diese Zeit datieren lässt.

Uns ist der Besuch des Castro auch nicht leicht gemacht worden, denn die archäologische Stätte gehört zum ethnologischen Museum von Póvoa de Varzim. Dort sollten wir uns zunächst anmelden, ungeduldig zogen wir den „Eingeborenenzugang“ vor. Das Gelände ist hervorragend mit Hinweisschildern in Portugiesisch und Englisch ausgestattet. Die Anlage von Terroso war ein ummauertes Dorf. Hinter den heute noch erkennbar meterdicken Mauern sahen wir ein Labyrinth von Kreisen aus Stein, Grundmauern der Rundhütten, Haus an Haus. Auch hier eine gute Dokumentation: Der vorgefundene Bestand wurde so gekennzeichnet, dass die wiederaufgemauerten modernen Teile der Grundmauern der Rundhütten gut zu erkennen sind. In Terroso besaß das Castro eine die Siedlung elliptisch umfassende Befestigungsanlage, die bis in das 6. Jahrhundert v.Chr. zurück zu verfolgen war.

Innerhalb der Anlage war nur Fußverkehr möglich, Wagen mussten vor dem Tor abgestellt werden. Castros wurden hier an der Atlantikküste auf den Anhöhen errichtet, in Sichtweite waren das Meer und die benachbarten Festungen. Fruchtbare Erde und ein Zugang zu Süßwasser mussten vorhanden sein. Küstenfischfang ergänzte die Ernährung.

Interessant ist auch, dass das vor uns liegende Grundmauerlabyrinth aus 90 Gebäuden eine erkennbare Struktur aufzuweisen hatte: Jedes Viertel der Anlage wurde seinerseits unterteilt in fünf bis sechs „Familienhöfe“, die abgeschlossen vom restlichen Castro aus mehreren eng aneinander stehenden runden sowie wenigen quadratischen kleinen Gebäuden bestanden. Die hatten unterschiedliche Funktionen: Wohnen, Handwerk und kleine Stallungen, obwohl das meiste Vieh sicher außerhalb der Siedlung untergebracht war. Die Abgeschlossenheit der Großfamilie in diesem Hof wurde sogar durch Schlösser gewährleistet, im Befund waren Hausschlüssel vorhanden. Eine vollständige Gebäuderekonstruktion fehlte hier leider. Wir folgten den Spuren des Brutus weiter bis zum Miño im Nordwesten der iberischen Halbinsel.

Über den Rio Lima zum Monte Santa Tecla

Bei der Überquerung des Flusses Lima hatten wir wie der römische Feldherr Probleme. Aber nicht mit abergläubischen Soldaten, die meinten, sie würden das Gedächtnis verlieren, sondern mit der Straßenführung und einer gesperrten Brücke. Brutus löste das Problem dadurch, dass er als erster den Fluss überquerte, wir nutzten die Autobahnbrücke und verfuhren uns zunächst hoffnungslos. Aber dennoch erreichten wir den Miño.

Brutus ließ seine Begleitflotte hineinfahren, wir suchten eine Brücke zum Überqueren. Unterwegs erreichte den Römer die Nachricht, dass sein Nachschub von dem in den Bergen lebenden Stamm der Brakarer überfallen worden war. So unterblieb die Überquerung des Flusses und er wandte sich wieder südwärts, um auch die Brakarer zu bestrafen, auszurauben und zu versklaven. Da in den Gebirgsregionen Nordportugals wenige Castros nachzuweisen sind, könnten die Brakarer ein Hirtenvolk ähnlich den Lusitanern gewesen sein.

Verlassen von Brutus stießen wir alleine bis an die Mündung des Miño vor. Am späten Mittag erreichten wir den Monte Santa Tecla oder Santa Trega, wie ihn die Galicier nennen, oberhalb der Stadt A Guarda, hoch über Miño und Meer.

Der Museumseintritt wird an einer Mautstation gleich am Auto eingefordert. Eigentlich war der Monte Santa Tecla und seine kleine Kirche (Ermita) ein Wallfahrtsort für die unten am Meer gelegene Stadt A Guarda. Auf das Castro am Monte Santa Tecla stießen Bauarbeiter im Jahre 1913, als eine Straße den Berg hinauf gebaut werden sollte. Immerhin schätzt man, dass das Castro im ummauerten Bereich von 700 mal 300 Metern mehr als 3000 Menschen beherbergt hatte. Seine Gründungszeit wird zwischen dem zweiten und dem ersten Jahrhundert vor Christus angesetzt. Funde ließen sich im Zeitraum von 27 v.Chr. und 14 n.Chr datieren. So ist nicht ganz klar, ob Brutus auch auf dieses Castro stieß oder ob es nach seinem Feldzug entstand.

Das Innere der Siedlung bestand aus vielen Rundhütten, die aus Stein gebaut waren und vermutlich mit Stroh abgedeckt wurden. Die Häuser waren wie auf dem Monte Terroso nach Familienverbänden gruppiert. Die Funde sind im Museum auf dem Berg gut dokumentiert. Aber auch vor Ort im Castro ist die Dokumentation ausgezeichnet. Es gibt Hinweisschilder und Kennzeichnungen im Mauerbestand, die anzeigen, wo der Fundbestand aufhört und die Rekonstruktion anfängt. Zwei vollständige Rekonstruktionen der Hütten machen die Ruinenanlage noch beeindruckender.

Als Hausschmuck, so ist im Museum zu erfahren, wurden mit Triskellen oder Swastikas verzierte Steinblöcke über den Türstürzen eingefügt. Kritisch muss bei diesem Museum angemerkt werden, dass Hinweisschilder und Museumsbeschreibungen nur auf gallego, der Regionalsprache, vorhanden sind. Einen kleinen Führer auf Englisch oder Spanisch erhält der Besucher an der „Mautstation“. Dieser gibt nur einen groben Überblick und es fehlen die interessanten Details auf den Hinweistafeln. Wie würden wir auf Hinweistafeln auf Schwäbisch oder Plattdeutsch in einem deutschen Museum reagieren?

Unterwerfung der Castros und Abschied von Brutus

Die Castros nördlich des Miño blieben noch weitere Jahrhunderte von Rom verschont, hatten aber sicher bereits Kontakt mit der römischen Republik. Erst 61 v.Chr. wurde ein gewisser Caesar Statthalter in der Hispania ulterior und unterwarf auch die Castros im heutigen Galicia. In den Jahren 29 bis 19 v.Chr. gelang es Augustus, die restlichen Stämme im Norden der Halbinsel zu unterwerfen. Im Zuge der Romanisierung der Bevölkerung wurden die Castros nach und nach verlassen. Die ehemaligen Castrobewohner passten sich in Sitte, Gebräuchen und Handwerkstechniken den Römern an. Aus runden Häusern wurden zunehmend viereckige.

Dieser Prozess ist auf dem Monte Santa Tecla gut zu sehen. Ein schönes Beispiel sind auch die Mahlsteine: Die althergebrachten keltiberischen verschwinden aus dem Fundgut und machen runden römischen Handmühlen Platz. Im Falle des Castros von Terroso wurde die Siedlung auf die umliegenden Hügel verlagert, neuere Ausgrabungen haben aber auch römische Reste am Hang unterhalb des Castros freigelegt.

Was wurde nun aber aus Decimus Iunius Brutus? Nach seinem Zug an den Miño schloss er sich dem Oberbefehlshaber von Hispania citerior M. Aemilius Lepidus an, der auf die Idee verfallen war, die Vakkäer und ihren Hauptort Palantia (heute Palencia) anzugreifen. Damit wurden bestehende Verträge zwischen Vakkäern und Rom gebrochen. Kurz zusammengefasst: Dieser Feldzug im Herbst 137 v.Chr. endete im Desaster. Bei einem schmählichen Rückzug und einer Verfolgung durch die Vakkäer kamen 6000 Römer zu Tode. Brutus überlebte und zog sich in sein Lusitanien zurück. Wir wissen noch von einem Feldzug dort, aber auch, dass er seinen Triumph über Galläker und Lusitanier in Rom erst 132 v.Chr. erlebte. Seine Reise endete, unsere beginnt erst richtig, denn vom Atlantik kommend, wenden wir uns nun Zentralspanien zu.

To be continued…

  • Núcleo arqueológico da Cividade de Terroso ; Öffnungszeiten von 9 bis 19 Uhr, bitte anmelden beim Museu Municipal de Etnografia e História da Póvoa de Varzim; Rua Visconde de Azevedo; 4490 – 589 Póvoa de Varzim

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