Reise Hawaiianer entdeckt deutsches Mittelalter

„Uf einem grünen Achmardi truok sie den Wunsch von Pardis, béde, Wurzeln unde Reis. Daz war ein Dink, daz hieß der Gral...“ (Auf einem grünen Achmardi trug sie die Wunscherfüllung vom Paradies, beides zugleich Wurzeln und Blütenreis. Das war ein Ding, das hieß der Gral...) Vers 235, 15-30, aus Wolframs von Eschenbach Epos „Parzival“ glüht vor tiefgründiger Symbolik. Generationen von Historikern haben sich an der Deutung versucht, den Text seziert und weitschweifende Kommentare geschrieben. Die Geschichte um den Gralsucher ist auch eine Lieblingsgeschichte von Eric T. Hansen. Und der sagt einfach: „Es ist eine fantastische Rittergeschichte für Jungs.“ Fertig. Nichts von den durchwachten Nächten, in denen der Mediävistikstudent Hansen über hochmittelalterlichen Manuskripten brütete und – seinem Schwerpunkt, der deutschen Literatur des Mittelalters, gerecht werdend – intelligente Ausarbeitungen abliefern musste. „Diese Literatur ist sehr schwer, aber ich mag sie einfach“, sagt Hansen nur. In typisch amerikanischer Unbekümmertheit schob er später den akademischen Ballast beiseite und machte sich daran, einen alten Traum in die Praxis umzusetzen. Wie sein literarischer Liebling Parzival machte sich Hansen auf die Reise. Sie führte ihn buchstäblich durch das Mittelalter. Die Idee dazu wurde an den Stränden von Hawaii geboren. Und findet nun seinen Weg in ein neues Buch.

Hansen wurde 1961 auf Hawaii geboren. Doch schon als Junge, während seine Altersgenossen den Mädchen am Strand nachschauten, träumte der Amerikaner nur vom europäischen „Dark Age“, dem Zeitalter seiner ritterlichen Helden. „Das war für einen Jungen in meinem Alter nicht typisch, und ist mir fast ein bisschen peinlich“, gesteht Hansen. Doch es passierte einfach, und Hansen suchte Wege, seinem Traum ein wenig näher zu kommen. Nach der Schule ließ er sich als Mormonenmissionar nach Europa schicken. Kaum angekommen, trat er flugs aus der Kirche aus und schrieb sich an der Münchner Universität ein. Das war 1983. „Aber ich bin kein Akademiker“, sagt Hansen. Und so suchte er seine Berufung auch nicht in der Mediävistik, sondern berichtet bis heute für amerikanische Medien- und Kulturzeitschriften vom „Alten Kontinent“.
Inzwischen plant Hansen seine Rückkehr in die Staaten. Doch zuvor setzte er seine alte Idee in die Tat um. Den Spuren seiner ganz persönlichen mittelalterlichen Helden wollte er folgen. Sie legten gewissermaßen seine Route durch Deutschland fest. Eine Abschiedsreise. Noch im Frühjahr erscheint der Reisebericht unter dem Titel „Die Nibelungenreise“ im Malik Verlag. Zurzeit brütet der Autor noch über dem Manuskript. „Es ist mein erstes Buch, und es macht unheimlich viel Spaß.“
Von 2001 bis 2002 lieh der Volkswagen-Konzern dem Amerikaner einen Van. Für Hansen das ideale Fahrzeug. Gut ein Jahr, mit kleineren Unterbrechungen, war er immerhin auf Tour. Der Van war Transportmittel, Büro und Hotel in einem. Natürlich verpasste der Literaturhistoriker mit Sinn für Humor seinem Gefährt einen Namen. „Der Van konnte nur Krimhild heißen, nach der unbeugsamen Frau, die über all die starken Männer triumphierte.“ „Krimhild“ brachte Hansen überall hin: In den Norden, wo Klaus Störtebecker sein Unwesen trieb, zu den sagenhaften Siegfriedbrunnen, an die Wirkungsstätten Karls des Großen oder zur Klosterruine der Hildegard von Bingen. Gerade das Beispiel dieser Frau zeige die beiden Gesichter des Mittelalters deutlich, findet Hansen. Obwohl auch sie etwa im Bereich Pflanzenkunde offensichtlichen Irrtümern erlegen war, „schrieb sie mitten in all dem mittelalterlichen Matsch so viel über Licht und Hoffnung“, sagt der Journalist bewundernd. „Neben den dunklen Seiten gab es in jener Zeit Leute, die wundervolle Dinge taten.“ Dieses helle Mittelalter vor allem wollte er auf seiner Reise finden.
Trotz mancher Touristenströme reflektierte Hansen auf vielen Burgen die vergangene Zeit. Er sprach mit Kennern vor Ort und stöberte in Archiven. In Magdeburg nahm er im Dom an einer Messe zu Ehren Ottos des Großen teil und stand in Wildenburg vor den Überresten des Kamins, an dessen Feuer Eschenbach angeblich seinen „Parzival“ schrieb. Hansen setzte auf seiner Reise bewusst den Blick des Ausländers ein. Er schreibt nicht die x-te mittelalterliche Geschichte Deutschlands, sondern seinen ganz persönlichen Erlebnisbericht. „Meine Abenteuer unterwegs“, beschreibt Hansen schlicht. Diesen Blick von außen hält er für wichtig. „Denn so kann man den Einheimischen altbekannte Dinge mit einem ganz neuen Blickwinkel zeigen.“ Schließlich, meint Hansen mit einem Lachen, graben sich auch viele deutsche Archäologen etwa durch die Geschichte Amerikas. „Und das ist auch völlig in Ordnung so.“
Überhaupt hätte er die Deutschen als wissbegieriges Volk kennen gelernt. „Beinahe jeder Taxifahrer hat hier zu Lande eine Theorie darüber, was die Welt zusammenhält.“ Auch ein Grund, warum es ihn 18 Jahre lang hier gehalten hat, und er sich schließlich auf jene Reise begab. „Ich mag das Land, auch wenn es so oft regnet.“ Natürlich lässt sich der Alltag in einem Erlebnisbericht nicht ausschließen. Vor den Burgmauern und Kirchentoren geht das normale Leben ja weiter. „Und so ist mein Buch zu gut einem Drittel dem deutschen Alltag gewidmet.“ Von „Wessis“ ist da die Rede, die „so eine Art haben, einen Amerikaner von oben bis unten zu scannen“. Oder von „Ossis“, bei denen es umgekehrt sei. „Sie lassen die Testphase weg, und heißen einen von Anfang an willkommen. Heimlich sorgen sie sich aber, ob sie es nicht mal bereuen müssten.“ Eine Sammlung von Klischees? Natürlich, meint Hansen. Doch erstens haben sie stets einen wahren Kern, und zweitens seien sie ironisch gemeint.
Bitter ernst ist es Hansen mit seinen Ausführungen weiß Gott nicht. Er hatte ein unersättliches Vergnügen auf seiner Reise, er probierte mittelalterliche Gerichte, sah sich auf dem Mitterlalterspektakel in Freienfels um, und träumte unter freiem Himmel von vergangenen Tagen. Dieses Vergnügen will er den Deutschen nun wiedergeben. Warum war er eigentlich nicht in Skandinavien unterwegs? Tatsächlich verweisen Name und die blonden Haare auf Vorfahren aus Schweden und Dänemark. Hansen lacht. „So richtig interessant war doch dort eigentlich nur die Wikingerzeit.“ Nach kurzem Überlegen dann die so einfache wie treffende Begründung: „Außerdem hat dort keiner den Parzival geschrieben.“

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