Römertage Mehring Den Legionären hinter die Kulisse geschaut

Vor dem Vergnügen kommt der Aufbau: Der Weinstand entsteht. © Marcel Bieger

Wie verläuft eigentlich eine Veranstaltung, bei der moderne Menschen antikes Leben zelebrieren? Marcel Bieger hat zwei Gruppen für 24 Stunden bei den Mehringer Römertagen im Juli begleitet.

Vom Lageraufbau

Um nach Mehring zu gelangen, muss ich erst einmal nach Wintrich. Beides relativ kleine Orte am Mittellauf der Mosel. In Mehring soll in der dort restaurieren Römervilla am Sonntag ein Römertag stattfinden, wo der hier ansässige Römerverein aus- und darstellt. Zunächst nehme ich teil am Auftakt zum Amphorenexperiment der „Vigilia Romana Vindriacum“ (chronico berichtete).

Am Nachmittag verläuft sich die Veranstaltung, und die Römer-Darsteller, die nach Mehring weiter wollen, rotten sich zusammen. Ich bin Gast der Legio XXII und schließe mich der Gruppe an, die gleich zum Aufbau weiterfährt. Der Rest der Truppe will morgen folgen und pünktlich vor Beginn der Veranstaltung eintreffen.

Schon auf der knapp halbstündigen Fahrt zur Villa zerfasert der Autokorso – wie überhaupt bei den Wintrichern Disziplin und Ordnung nicht ganz oben auf der Maßnahmeliste stehen – aber wunderbarerweise klappt am Ende immer alles tadellos. Etwa ein Dutzend Römer finden sich in Mehring ein, und nach kurzer Debatte macht sich ein Viertel von ihnen daran, die Schlafzelte aufzubauen, während der Rest die Verkaufsstände und das Versorgungszelt errichtet. Zur Straße hin ist der Boden recht abschüssig. Und das nicht nur ein wenig – in der Nacht rolle ich zweimal von meiner Strohschütte. Mit einigem Hin und Her bekommt man das Halbgeviert der Budengasse aber doch so hin, dass man das Ergebnis dem Publikum ohne „Berg- und Talwanderung“ präsentieren kann. Mit einem Schluck Bier geht die Arbeit noch einmal so gut voran, und wieder zeigt es sich, dass bei den „Wintrichern“ jeder Handgriff sitzt.

Winzer treffen Legionäre

Jemand hat inzwischen den Grill angeworfen, und als wir mit dem Aufbau fertig sind, kommen Brot und Fleisch gerade recht. Einige haben sich inzwischen Tunika und Gürtel („cingulum“) angezogen, andere bleiben in Zivil (Darstellung „Mensch des 21. Jahrhunderts“). Man sitzt zusammen, klönt, erzählt am Feuerplatz Abenteuergeschichten und Anekdoten von früheren Lagern und Auftritten – und es hört sich allmählich so an wie zu allen Zeiten an allen Lagerfeuern dieser Welt. Man lacht, man frotzelt, man gibt voreinander an, Männer unter sich, und so ist es auch gut.

Später, gegen 21 Uhr, spazieren aus allen Ecken wie zufällig die Einheimischen herbei, tun neugierig und blicken auf ihre nicht mehr ganz so vertraute Villa, an der sich einiges verändert hat. Dann bleiben sie stehen, um sich diese seltsame Truppe anzuschauen und mit ihr – relativ schnell – ins Gespräch zu kommen. Man berichtet uns, dass Mehring zu beiden Seiten der Mosel liege und man hier auf der „falschen“ Seite stehe (ich verstehe, die „scheel Sick“, wie man in meiner Heimatstadt Köln sagt). Einkaufsgelegenheiten, gesellschaftliches Leben, Schule und so weiter finden alle am jenseitigen Ufer statt, die Gemeinde hat aber in ihrer Weisheit beschlossen, das Neubaugebiet auf dieser Seite hier zu errichten, damit die Kinder zum Schulbesuch über die Mosel müssen. Ein Winzer ist auch dabei, der erzählt, wie sehr der Weinbau an der Mosel unter den immer neuen Richtlinien der EU und der Konkurrenz aus Frankreich und Italien zu leiden habe. So etwas tun alle Winzer auf der ganzen Welt. Solange sich die Winzer noch beschweren, geht es ihnen ganz gut. Nicht „Klappern“, sondern „Meckern“ gehört zum Handwerk. Doch nichts für ungut, der Winzer spendiert einige Flaschen mit ausgezeichneten Tropfen. Die Besitzer des einzigen Hotelrastaurants „Römervilla“ sind auch gekommen und spendieren den Römern für den nächsten Morgen das Frühstück. Sie haben außerdem ihre Speisekarte dem Anlass entsprechend umgestellt, es gibt Original-Römisches und nicht, wie auf manchen Märkten, Bratwurst mit gelber Soße, die als „Legionärslanze“ oder ähnlich grotesk phantasievoll verkauft wird.

Doch es ist nicht zu verkennen, die Menschen hier freuen sich, dass in ihrer Villa Mehring endlich einmal etwas los ist. Irgendwann nach Mitternacht klingt der Abend dann aus, und nach einem Spaziergang an der nächtlichen Mosel („die schöne Tochter des Rheins“, warum, wird einem hier klar) ziehe auch ich mich zurück. Wir verbringen eine überaus angenehme Nacht. Der angedrohte Regen bleibt aus.

Verstärkung rückt an

Am nächsten Morgen gibt es kein für alle gültiges Wecken, aber dennoch haben sich alle pünktlich um neun Uhr auf der sonnenbestrahlten Veranda des Hotels eingefunden. Gestärkt durch ein neuzeitliches Frühstück macht die Truppe sich daran, Gurte nachzuziehen, Heringe nachzuklopfen, Waren auszulegen und sich „aufzurödeln“, wie das Anlegen der kompletten Gewandung in Reenacter-Kreisen heißt. Seit dem Morgen treffen auch die Verstärkungen ein, in Form von den gestern Daheimgebliebenen und zusätzlichen Mannen aus den Reihen der 22. Legion (Legio XXII), nach ihrem Zentrum die „Bitburger“ genannt.

Beide Römervereine rühmen sich zu Recht einer funktionierenden Zusammenarbeit und Partnerschaft, der eine hilft dem anderen aus, man stellt sich gegenseitig Mannschaften, Ausrüstung und Offiziere. Das Ganze funktioniert vor allem deshalb, weil die „Wintricher“ ihren Schwerpunkt auf Zivildarstellung und vor allem das „Weinmachen“ gesetzt haben, während die Interessen der „Bitburger“ auf der Militärdarstellung liegen (ich weiß, das ist grob vereinfacht, weil beide auch noch auf anderen Gebieten tätig sind). Außerdem merkt man den Mitgliedern der einen wie auch der anderen Gruppe an, dass sie sich die experimentelle Archäologie nicht nur auf die Fahnen geschrieben haben, sondern auch in ihrem Hobby aufgehen. Ebenso wie vorher die Arbeitstunika tragen sie jetzt auch ihren Lamellenpanzer mit einer Selbstverständlichkeit, die man nicht oft sieht. Nicht zu Unrecht genießen beide Vereine auf ihren Gebieten einen hervorragenden Ruf.

Um zehn Uhr, dem Startschuss der Veranstaltung, tröpfelt es zunächst. Nein, nicht der Regen, sondern die Zuschauerzahlen. Doch diejenigen, die kommen, bleiben gern und schauen sich all das an, was ihnen hier, eintrittsfrei, geboten wird. Und gegen Mittag tummeln sich dann mehrere hundert Menschen auf dem Areal, das – die Villa eingerechnet – gerade mal so groß wie ein bundesligatauglicher Fußballplatz sein dürfte.

Ein Senator in eher greller Aufmachung schart busladungsstarke Besuchergruppen um sich und führt diese gut gelaunt durchs Gelände, um sie mit Heiterem, Wissenswertem und Anekdotischem zu unterhalten.

Optio, geh voran!

Der Optio (bei den römischen Legionen im Rang gleich hinter dem Centurio) stammt von den „Bitburgern“, er führt immer wieder seine (aus beiden Vereinen gemischte) Truppe über den Platz und erklärt ebenfalls, was es bei den alten Römern mit den Legionären und anderen Waffengattungen auf sich hatte. Die beiden Gruppen haben einiges aufgefahren, was man sonst in römischen Lagern nicht unbedingt zu sehen bekommt.

Zu den etwa acht Legionären mit Lamellenpanzer („segmentata“), den typischen Berufssoldaten der Frühen und Hohen Kaiserzeit, gesellt sich ein spätrepublikanischer Legionär mit Kettenhemd („lorica hamata“) und viel einfacherem Helm. So haben zum Beispiel die Soldaten Caesars ausgesehen (und so sollten sie eigentlich auch in den „Asterix“-Bänden aussehen). Die Ansammlung wird ergänzt durch einen so genannten „Spätantiker“, will sagen, einen Berufssoldaten aus der späten Kaiserzeit; etwa ab der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts. Sein Aussehen und seine Ausrüstung unterscheiden sich so sehr von der des typischen Lamellen-Legionärs, dass der Laie auf den ersten Blick keinerlei Gemeinsamkeit zwischen beiden entdecken kann.

Abgerundet wird der Aufmarsch von einem Bogenschützen („sagittarius“). Diese gemischte Truppe marschiert auf (lateinischen) Kommandos des Optio in Einer- oder Zweierreihe, stellt sich in Reih und Glied auf und zeigt schließlich römische Kampfstile. Entgegen den von Hollywood geprägten Vorstellungen (zuletzt noch typisch falsch in „Gladiator“ mit Russell Crowe) zeigen diese Legionäre, wie es wahrscheinlich zugegangen ist.

Der Soldat wirft zuerst seinen Speer („pilum“), die Waffe mit dem viereckigen hölzernen Schaft und der langen dünnen Metallspitze. Dieser Speer ist schwer und wird mit Vorliebe salvenartig auf gegnerische Schilde geschleudert. Dort bleibt er stecken, biegt sich aber auf Grund seines Gewichts nach unten. Dem Gegner wird rasch der Schild zu schwer, und die römischen pila haben die unangenehme Eigenschaft, sich dank ihrer breiteren Spitze nur schwer aus einem Ziel lösen zu lassen. Entweder wirft er also seinen Schild fort und ist ungeschützt, oder er zieht sich nach hinten zurück, um in etwas mehr Ruhe die Speere zu entfernen, womit er aber erst einmal für den Kampf ausfällt.

Der Legionär zieht unmittelbar nach dem Wurf sein Kurzschwert („gladius“) und rückt im Schutz seines Schildes („scutum“) gegen den Feind vor, der inzwischen aus den oben angeführten Gründen in erste Unordnung geraten sein dürfte. Im Nahkampf bewährt sich das Kurzschwert ausgezeichnet. Es lässt sich im Getümmel leichter bewegen als das bei Galliern und Germanen beliebte längere Schwert, man muss damit nicht weit ausholen, und man kann auch von unten zustechen, etwa in den Bauch, was den Gegner sofort ausschaltet.

Die anwesenden Legionäre haben etliche Strohballen zu einem gegnerischen „Schildwall“ aufgestapelt, und in den regnet es nun pila. Nach dem Wurf führen sie vor, wie sie gleich nachrücken, um dem Gegner keine Erholung zu gönnen.

Nur der Spätantiker bietet eine Einzeldarbietung, benutzt er seinen längeren Speer doch nicht zum Wurf, sondern wie eine Lanze zum Stechen. Auch trägt er ein längeres Schwert („spatha“) an der Seite, denn in seiner Zeit setzt sich der Gegner nicht mehr so sehr aus wilden Horden zu Fuß zusammen, sondern aus Reiterscharen, die Völkerwanderung hatte damals längst eingesetzt.

Ein berittener Feind wird einen Legionär kaum jemals so nahe an sich heranlassen, damit dieser ihn mit seinem Kurzschwert stechen kann. Deshalb müssen längere Waffen her, um den feindlichen Reiter auf Distanz zu halten. Der „Spätantiker“ ist auch längst nicht mehr so schwer gepanzert wie der Legionär, denn gegen berittene Feinde hilft weniger Standfestigkeit als vielmehr Mobilität. Bei dieser eindrucksvollen und nachvollziehbaren Darstellung finden sich gut 500 Besucher im dichten Ring um das Aktionsfeld ein.

Ziviler Alltag

Aber auch die anderen Attraktionen finden ihre Interessenten. Immer wieder gern bestaunt wird das Brettchenweben, vor allem wenn es so fingerfertig dargeboten wird. Bei dieser besonderen Webtechnik, die ohne größeren Aufwand betrieben werden kann, werden kaum handtellergroße Brettchen, an denen die Wollfäden befestigt sind, gezupft, gezogen, übereinander gelegt und sonstwie verbunden. Alles geschieht so flink und akkurat, dass das ungeübte Auge kaum folgen kann.

Zur Erholung hat dann gleich nebenan der „Mulsum“-Stand geöffnet, der den gleichnamigen römischen Gewürzwein anbietet. Kräuter, Honig und weitere Zutaten, oft eines Geheimrezepts, ergeben eine Mixtur, die nur beim ersten Schluck ungewöhnlich schmeckt.

Die weiteren Stände führen in den Weinbau ein, und das mittels eines sehr interessanten Modells, in die zivile Mode der römischen Zeit (auch Frauentrachten) und die antike Backkunst. Der Bäcker, dem man ansieht, dass er seine eigene Ware nicht verschmäht, bietet theoretische und praktische Mehl- und Brotkunde. Bei ihm erfährt man allerlei über längst ausgestorben geglaubte und in unserer Zeit langsam zurückkehrende Getreidesorten, wie zum Beispiel Dinkel oder Ammer.

Am Lagereingang steht mittlerweile eine Art Schrein, an dem Waffen und Modelle das Lagerleben der Legionäre und ihre sonstigen Tätigkeiten zeigen. Römische Soldaten taten sich nicht nur im Krieg hervor, sie bauten zum Beispiel auch die Straßen, die das ganze Imperium durchzogen, und denen es seine Effektivität in Verwaltung, Nachrichtenübermittlung und Transport verdankte.

Derweil kocht im großen Hordentopf am Lagerfeuer „puls“, das Leib- und Magengericht der Legionäre. Im Grunde ein Eintopf aus Graupen und Erbsen, mit Speck angereichert und einigen von Koch zu Koch verschiedenen Zutaten verfeinert. Hier gibt sich der Chef der „Bitburger“ höchstpersönlich die Ehre. Ein Tipp, am besten wartet man, bis das, was als Suppe beginnt, sich zu einem Eintopf verdickt hat, dann vergisst man diese rustikale Köstlichkeit nie mehr. Ich habe gerade noch Glück. Nachdem ich meine Schüssel mit Eintopf gefüllt habe, setzt ein Wolkenbruch ein – und füllt den Topf bis an den Rand mit Regenwasser.

Immer noch strömen Menschen herbei, so als musste die Nachricht von dieser Veranstaltung erst durch Mund-zu-Mund-Propaganda im ganzen Moseltal verbreitet werden. Für mich aber sind die geplanten 24 Stunden bei den Römern herum. Ich verabschiede mich bei jedem Einzelnen, denn keiner von ihnen hat es mir gegenüber an herzlicher Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft mangeln lassen.

Der Römertag in Mehring gehörte sicher nicht zu den Großveranstaltungen, die man sonst aus der Römerei kennt (und wo man die „Wintricher“ und „Bitburger“ ebenfalls häufig antrifft), dafür traf man hier einen ganz besonderen Charme an. Der kleine Rahmen vermittelte auch Besuchern einen ganz anderen Zugang zu dem Dargestellten und Gezeigten. So gesehen war es tatsächlich ein Römertag.

Wenn ein Ort wie Mehring sich seiner historischen Wurzeln erinnert und einen „Römertag“ abhält, fällt das aus dem Rahmen und steht in der positiven Tradition der Festung Ehrenbreitstein im ebenfalls rheinland-pfälzischen Koblenz, wo man sich mit Erfolg bemüht, bei den sogenannten „Historienspielen“ Epochen- und Völker-Reenacter zusammen zu bekommen, die für diese Region von Bedeutung waren. Als Bewohner eines Bundeslandes wie Nordrhein-Westfalen, das seine Historie von offizieller Seite gern ignoriert, könnte man auf den südlichen Nachbarn neidisch werden.

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2 Kommentare

  1. super seite. sehr interessant

    gruß
    der spätantike soldat der vrv und proj.-vorstandsmitglied des römerweinschiff neumagens

    10. September 2007, 19:09 Uhr • Melden?
    von Alexander Thesen
    1
  2. Ich bin mal so frei, und leg diesen Wiki-Link zum Römerweinschiff nach. für die, die auch einen Moment lang Fragezeichen im Kopf hatten :-)

    Römerweinschiff

    10. September 2007, 22:09 Uhr • Melden?

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