Kloster Walkenried Der Konzern der weißen Mönche

Der Kreuzgang von Walkenried mit Blick auf die Büchernische. © ZisterzienserMuseum Kloster Walkenried

Die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ stellt in diesem Jahr 365 besondere Projekte vor. Lediglich eine Handvoll historischer Orte schaffte es in die Auswahl. Nur einer versetzt ins Mittelalter: Das Zisterzienserkloster Walkenried.

Einer von 365

Ostersonntag, irgendwann zwischen 23 Uhr und Mitternacht. Gemurmel erfüllt die langen Flure des Kreuzgangs im Kloster Walkenried; im niedersächsischen Kreis Osterode gelegen. Hunderte Kerzen tauchen das Gemäuer aus dem 13. Jahrhundert in flackerndes Licht. Aus dem Skriptorium ist leises Räuspern und das Scharren von Stühlen zu hören. Und zuweilen das Kratzen einer Vogelfeder auf dickem Papier. Bei geschlossenen Augen wirkt es, als wären die „weißen Mönche“ in ihr Kloster zurückgekehrt – die Zisterzienser, die ihren Beinamen den Tuniken aus ungefärbter Wolle verdanken. Doch es sind moderne Menschen, die in dieser Nacht durch das alte Kloster streifen.

Es ist die „Nacht der offenen Pforte“ in Walkenried. Der Sonntag gehört ganz dem Kloster, in gewissem Sinn. 2006 aufgelegt – mitten im Rummel zur Fußball-WM – setzt die Bundesinitiative „Deutschland – Land der Ideen“ ihre PR-Aktion in diesem Jahr fort. 365 Orte im Land der Ideen: Das umfasst zig soziale Projekte, Künstlerisches, Lokalpolitisches, Wirtschaftliches und jede Menge kreativer Konzepte von Organisationen, Kommunen, Privatmenschen und Vereinen. Aus über 1500 Bewerbern wählte eine Jury schließlich 365 Ideen, von denen jede an einem Tag öffentlich beworben wird. Darunter ist Walkenried der einzige Ort, dessen historische Vergangenheit die Jury überzeugte. Oder vielmehr war es die Art, wie die Museumsmacher die Geschichte Walkenrieds aufbereiteten.

Das Klostermuseum öffnete erst im Sommer 2006 nach jahrelanger Sanierung der alten Bausubstanz. Gut 2,3 Millionen Euro ließ sich die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz das Design einer ungewöhnlichen Ausstellung kosten. Fast elf Millionen Euro steckte die Stiftung mit Schützenhilfe von EU und Bund insgesamt in das Kloster, nachdem Ende der 1970er Jahre der behutsame Wiederaufbau begann. Und nun ist sie da, die Schau, die den Besucher mit auf eine rasante Fahrt in das Wirtschaftsleben mittelalterlicher Mönche nimmt. „Der weiße Konzern“ ist das Ausstellungskonzept übertitelt. Verweis zugleich auf das Habit der Klosterbrüder und ihren gesellschaftlichen Stand.

Sternenpracht und Büßerloch

Von praller Wirtschaftskraft und Effizienz ist in dieser Nacht zunächst wenig zu spüren. Das Kloster empfängt die Besucher ganz und gar nach deren Erwartung. Mit einem Mix aus Stille und Bewegung; Begegnungen und Einsamkeit. Zu jeder vollen Stunde rezitieren Sprecher im Kapitelsaal Ausschnitte aus den Regeln des heiligen Benedikt, der das mittelalterliche Klosterleben maßgeblich formte. Ein Chor stimmt gregorianische Gesänge an. Über dem Hof, vom hochgerühmten doppelten Kreuzgang umgeben, hängt Sternengeflimmer.

Wie von selbst umwandelt der Besucher die Gänge im Erdgeschoss der Klausurgebäude. Er kreuzt die Lesenische der Mönche, das so genannte Armarium. Leise wird er darüber belehrt, dass dieses Wort nicht von ungefähr so martialisch klingt. „Bücher“, sagt die freundliche Museumsmitarbeiterin, „waren die Waffen der Mönche.“ Sodann geht es weiter, vorbei am Kapitelsaal. Forteilend oder wandelnd – je nach Laune und Zeitmaß – hin zum Skriptorium mit den kleinen Schreibpulten, an dem auch der moderne Laie sich an alter Schreibtechnik üben kann. Seltsam: Gleich neben dem Schreibsaal, an dem die Brüder kostbare Kopien anfertigten, führt ein niedrige Tür zu einem tiefen Loch. Der Carcer, die Büßerzelle also, in der renitente Regelverstoßer bei Wasser und Brot über ihre Sünden zu meditieren hatten.

Aufstieg und Verfall

Es wird viel geschrieben worden sein, in diesem 1127 von Adelheid von Walkenried gestiftetem Kloster. Es ist auf deutschem Boden das dritte Kloster des in jener Zeit noch recht neuen Zisterzienserordens. 1129 ziehen die ersten zwölf Mönche mit ihrem Abt in das frisch errichtete Gemäuer. Mitten im Nirgendwo, aber mit fruchtbarer Erde ringsum. Ganz so, wie es die Mönche bei ihren Neugründungen vorsehen. Sie legen es ganz offensichtlich auf Pionierarbeit an. Die Erde will erobert sein, das Feld wohl bestellt, auf dass der Handel gedeihe.

Ora et labora – bete und arbeite. Beides war Alltag auch in Walkenried. Beides erlebt der Besucher in einer multimedialen Ausstellung nach. Aber „labora“ und damit das, was die Zisterzienser erwirtschafteten, ist es, was den eigentlichen Schwerpunkt ausmacht. Meditation und frommes Tagewerk waren für die Zisterzienser gleichberechtigte Wege zum Lobe Gottes. Walkenried ersteht in der Blütezeit der Gemeinschaft, der einer der wichtigsten Ordensleute des Hochmittelalters überhaupt seinen Stempel aufdrückte: Bernhard von Clairvaux (1090-1153).

Einige Treppen reichen aus, um das Ausstellungskonzept jedem begreiflich zu machen. Sie führen durch das Abteigebäude in die oberen Wohnräume der Brüder. Vorbei an einem Raum voller Steinmetzarbeiten, die von teils verfallen Klosterteilen und der gotischen Kirche übrigblieben. Vom Gotteshaus künden noch das eindrucksvolle Portal und ein Rest des Chors. Die Klosterkirche – einst eine der größten ihrer Art in Deutschlands Norden – fiel einer Belagerung im Bauernkrieg des 16. Jhs. zum Opfer. 1546 traten die letzten verbliebenen Zisterzienser zum Glauben Luthers über. Der letzte Abt von Walkenried starb 1578, das Kloster erlangte nie mehr seine Strahlkraft von einst. Die Kirche diente als Steinbruch, klägliche Reste des Kirchengestühls aus geschnitztem Holz stehen nun vor dem ebenfalls geretteten Altartisch in der ehemaligen Abtei.

Stahltreppen winden sich um die letzten Zeugnisse alter Steinmetzkunst nach oben. Die Restauratoren haben gar nicht erst versucht, alles, was war, exakt wiederherzustellen. Sie setzten Erhaltenes instand. Wo Mauern und Stufen fehlten, bauten sie moderne Entsprechungen ein. Auf einen Blick erschließt sich dem Besucher das Alte. Niedrige Deckenbalken inklusive, vorsorglich mit Polstern gesichert, für großgewachsenes Publikum.

Eine Art Hängebrücke überwindet den luftigen Raum im Obergeschoss der Abtei – heute ohne Fußboden – hin zum Dormitorium, dem Schlafsaal der Mönche. Dort ist sie, die eigentliche Schau zurück ins Leben der Zisterzienser. Doch erst gilt es, einen Vorraum zu durchschreiten, der mit einem merkwürdigen Ding aufwartet.

Profitcenter macht Bilanz

Stutzig macht schon zuvor das rot bemalte Gestell, das an Drahtseilen in der Luft schwebt. Die Beschriftung auf dem Geländer davor klärt auf: die Latrinen waren an diesen Ort. Wer dann weitergeht, vor dessen Augen flimmert etwas auf, das einem vertraut ist, aber hier im Kloster frappierend deplatziert wirkt.

Ein Beamer hängt an der Decke und wirft Grafiken, Diagramme und kurze Texte auf eine Leinwand. In bester Powerpoint-Manier zieht die Projektion eines Konzernberichts vorüber. „Jahresbericht 1306“ ist das Konvolut überschrieben. Erstellt für das jährliche Generalkapitel der Zisterzienser im französischen Cîteaux, der wichtigsten Instanz des straff organisierten Ordens.

Jedes Kloster der zentralisierten Gemeinschaft war auch eine ökonomisch auf eigenen Füßen stehende Einrichtung der Zisterzienser. Im Jahresbericht wird Walkenried denn auch neudeutsch als „Profitcenter“ betitelt. Mit eigenem Vermögen, Mitarbeiterstab, Beteiligungen, Produktpalette und mehreren Filialen in Städten wie Goslar oder Nordhausen. Solche Stadthöfe hatte so ziemlich jedes Zisterzienserkloster aufzuweisen, Walkenried besaß sechs davon.

Geschichte auf modern getrimmt; verblüffende Effekte mit unvermutet auftauchenden Bezügen zur Gegenwart – so präsentiert sich die Ausstellung. Stets vorrangig auf den Wirtschaftsbetrieb der Walkenrieder Mönche fokussiert. Und so geht es auch im Dormitorium weiter, in dem der Besucher keine klassischen Vitrinen erwarten darf.

In der Blütezeit des Klosters bis ins frühe 14. Jahrhundert hinein prägten zwei Wirtschaftszweige die Ökonomie der weißen Brüder: Agrarwirtschaft und Bergbau. Die Zisterzienser waren bei Herrschern und Kommunen als Investoren willkommen. Der Welfenkaiser Otto IV. war als Förderer des Klosters bekannt. Steuerfreiheit und billige Arbeitskräfte innerhalb der Klostermauern brachten es mit sich, dass die Mönche ihre Güter billiger als andere anbieten konnten. Um 1240 lebten mit dem Abt und den 100 Mönchen auch 220 Laienbrüder in Walkenried. Spielfiguren in verschiedenen Farben machen die Entwicklung des „Mitarbeiterbestandes“ quer durch die Jahrhunderte deutlich. Das letzte Spielbrett, das von 1525, zeigt nur noch 13 Mönche und 10 Laienbrüder.

Frage-Antwort-Spiel mit Gebetspause

Das Dormitorium ist ein Gewirr von Lichtern, Bildschirmen und flachen Würfeln, in denen historische Funde und moderne Entsprechungen Geist und manchmal auch die Geduld des Besuchers beanspruchen. Per Knopfdruck leuchten Texte auf, die etwa die Produktpalette des Klosters oder dessen Verwaltung erläutern. Staubig anmutende Aktenordner oder ein virtuelles Fließband mit Bildern von Dosensuppen und Flaschenbier ziehen Blicke an. Die Aufmachung der Schau selbst wirft Fragen auf. Neugierige Kinder sind es, die sie vor allem stellen. Die Antworten sind da: Vorgetragen von einem digitalem Audioguide, den man kostenlos an der Kasse bekommt. Oder auf einem der vielen Begleittexte.

Und regelmäßig, alle 20 Minuten, wird es dunkel in manchen Teilen der Ausstellung. Wer eben noch über eine beleuchtete Texttafel gebeugt stand, muss im Dunkel verharren. Dann erstrahlen im Raum verteilte Würfel, bedeckt mit Szenen aus dem klösterlichen Leben. Und mit Texten zum straff strukturierten Tagesablauf, die auch über Lautsprecher ins Ohr der Besucher tönen. Alle 20 Minuten stockt somit die Suche nach dem „Wirtschaftswunder Walkenried“. Für kurze Zeit rückt dann das „Ora“ in den Mittelpunkt: Die Gebetszeiten kommen so zu ihrem Recht, die damals die Ordensbrüder zur Einkehr aufriefen, und auch heute dem Besucher ihr Zeitmaß aufdrücken.

Irgendwann ist dann auch das Dormitorium durchwandert. Auf der anderen Seite geht es wieder abwärts, hinunter in den schon bekannten Kreuzgang. Mitternacht ist längst vorbei, doch noch immer durchstreifen Unentwegte die Gänge, noch immer leuchten die Kerzen. Die Chorsänger wandeln als singende Prozession und beschließen damit diese Nacht der offenen Pforte. Mit einigen hundert Besuchern hatte das Klostermuseum gerechnet. Rund 1500 Menschen waren gekommen. Angelockt von der Aussicht auf eines der ungewöhnlichsten Ausstellungsprojekte der jüngsten Zeit und einem stimmungsvollen Ambiente. Mit Recht. Denn auch, wenn nicht jeden Tag Kerzenschein und Choräle den Besucher begleiten, gibt es im Kloster genug zu sehen und zu suchen. So manchem Betrachterauge mag die Vielfalt der Präsentationsformen etwas zu viel sein. Doch das ist nichts, was sich nicht mit etwas Zeit und Neugier lösen ließe.

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2 Kommentare

  1. Jüngst rief mich Professor Reinhard Roseneck von der Museumsleitung an. Er bat darum, unsere Leser auch darauf aufmerksam zu machen:

    Das Erdgeschoss mit dem Kreuzgang dient voll und ganz der meditativen Annäherung ans Klosterleben. Darauf seien auch die Audio-Guides abgestimmt. Sie bieten nämlich nicht einfach nur blanke Informationen, sondern liefern über hörspielartige Gespräche und stimmungsvolle Atmosphäre auch einen stilvollen Einstieg in die Spiritualität der Zisterzienser.

    Was hiermit geschehen ist.

    20. April 2007, 16:04 Uhr • Melden?
  2. wir haben heute das museum besucht und waren sehr beeindruckt, wie spannend und lebendig die geschichte dargestellt ist. die audio-guides sind ausgezeichnet, technisch einwandfrei und sehr informativ. eine anregung habe ich allerdings: für menschen mit hörschwäche sind die würfel, die ihre texte alle gleichzeitig ausstrahlen, akustisch nicht zu unterscheiden – was schade ist. vielleicht kann man sie einzeln abspielen? wir kommen bestimmt nochmals wieder, weil man an einem tag gar nicht alles erfassen kann.
    vielen dank für diesen schönen tag.

    20. Juni 2009, 22:06 Uhr • Melden?
    von antonia gökesme
    2

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