Bachritterburg Eine Trutzburg aus Holz

In der Welt der Geschichten und Mythen bestehen die Burgen meist aus fest gefügtem Stein. Und malerische Ruinen sind heute ein beliebtes Ausflugsziel. Daran, dass auch die mittelalterlichen Bauherren Richtfest begingen und in nagelneue Behausungen einzogen, denkt kaum jemand. Auch nicht, dass die steinernen Trutzburgen, die wir heute kennen, alles andere als erschwinglich für den niederen Adel waren. Weit verbreitet im Hoch- und Spätmittelalter waren vor allem hölzerne Burgen, so genannte Motten. Eine solche ist seit einigen Monaten in voller Pracht im baden-württembergischen Kanzach zu bestaunen. Nagelneu und nach historischem Vorbild errichtet.

Mit dem markanten Wohnturm hatte der Aufbau des Freilichtmuseums vor einigen Jahren begonnen. Inzwischen ist die Vorburg der Anlage komplett. Schlafstube, Turmküche, Schmiede und das Wohnstallhaus geben einen guten Eindruck des Lebens der Adligen im Darstellungszeitraum 1250-1340 wieder. Die Anlage gehört zum ArchäoPark Federsee (Federseemuseum Bad Buchau) und wird von der 530-Seelen-Gemeinde Kanzach mitgetragen.
Das Dorf steht damit zu seiner eigenen Geschichte. Vor gut 700 Jahren hatten die niederadeligen Herren von Kanzach auf dem benachbarten Hügel eine solche Motte. Aber die Betreiber hatten mehr im Sinne als eine Kopie dieses Anwesens. “Entstanden ist eine Burganlage, wie sie nach dem aktuellen Stand der Forschung im frühen 14. Jahrhundert existiert haben müsste”, sagt Museumssprecher Sven-Hinrich Siemers. Für das Projekt fanden Mittelalter-Archäologen, Bauforscher und Architekten sowie traditionell arbeitende Handwerker zusammen. Das Ergebnis ist eine Motte nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Wissenschaft und Living History

Der Bau selbst kostete rund 350.000 Euro, teilweise finanziert aus EU-Töpfen. Für die detailgerechte Ausstattung mit Gegenständen des Alltags reichten diese Mittel noch nicht auf einen Schlag. Nach und nach wird also angeschafft, was die Darstellung des hochmittelalterlichen Lebens noch korrekter macht. Denn eines ist das Freilichtmuseum nicht: eine Hülle für Vitrinen mit Originalfundstücken. Viel mehr wird die Anlage durch “Living History” belebt, wie Siemers sagt. An der Wissenschaft orientierte Darstellung verschiedenster Lebensbereiche also, die den Besucher auf eine Zeitreise mitnehmen soll. So stellen es sich die Betreiber vor. Und dafür betreuen Archäologen und andere Wissenschaftler – auch aus dem benachbarten Federseemuseum – die Anlage.

Burgbesatzung kommt zum Tag des offenen Museums

Beim Tag des offenen Museums am 12. September mischt auch die Bachritterburg mit. Es ist die Gelegenheit, den museumspädagogischen Ansatz der Einrichtung zu verfolgen: Rekonstruktion des Alltags durch Living-History-Gruppen. Schon am 11. September reisen die Mitglieder der IG Mensch im Mittelalter (IG MiM) an und nehmen zwei Tage lang die Burg in Besitz. Die Spezialität der Gruppe ist die Zeit des frühen 14. Jhs. – passend also zum Zeitraum der Motte.
Wer sich schon mal nach Kanzach begeben hat, sollte den Bustransferservice des Freilichtmuseums zum Kooperationspartner Federseemuseum nutzen. Hier werden Einblicke in die Ur- und Frühgeschichte geboten.

Nachtrag: Ende eines ehrgeizigen Projektes

Ein Nachtrag sei erlaubt: Vor einiger Zeit berichtete chronico über ein ähnliches Burgbauprojekt beim nordrhein-westfälischen Bad Wünnenberg. Der Mittelalterverein Ars Militia und die lokale Touristik GmbH wollten ebenfalls eine Motte errichten – als Erlebniswelt mit Freizeitpark-Charakter. Baurechtliche und vereinsinterne Probleme brachten das Projekt indes zum Scheitern. Dennoch bekräftigte Ars Militia, das Vorhaben auszuführen. Der Ort steht bisher nicht fest.

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