Goslar 2006 „Living History ist nicht tot!“

Das Nürnberger Aufgebot 1474 in Aktion. © Schwarzenberger

Claus Meiritz knüpft an den Erfolg seiner Zeitreise an der Kaiserpfalz Werla 2005 an. Nun organisiert der Leiter der „Werkstätten für lebendige Geschichte“ eine ähnlich groß angelegte Veranstaltung in Goslar. Rund 450 Akteure sind dabei.

Die Salier und Goslar

Das niedersächsische Goslar ist wie kaum eine andere deutsche Stadt mit der Hochpolitik des Mittelalters verbunden. Heinrich I. ließ im 10. Jahrhundert den Grundstein für die bald darauf erblühende Stadt legen. Welfen und Staufer stritten sich um den Einfluss auf Goslar. Und die Salierkaiser schließlich bauten die Pfalz zu ihrer mächtigsten Feste aus. Der Grund für dieses Interesse lag in den Tiefen des Rammelsberges oberhalb der Stadt. Für Jahrhunderte lieferten dessen Bergwerke das begehrte Silber für das Münzwesen.

Herz und Eingeweide des Saliermonarchen Heinrich III. werden in der Ulrichskapelle in der Kaiserpfalz aufbewahrt – der Leib des Kaisers selbst liegt in Speyer. Der Todestag Heinrichs jährt sich in diesem Jahr zum 950. Mal; der seines Nachfolgers Heinrichs IV. zum 900. Male. Genug Gründe also für die Stadt am Harz das Jahr 2006 zum Salierjahr auszurufen. Aus der Vielzahl der Veranstaltungen nimmt „Abenteuer Mittelalter“ mit Sicherheit eine besondere Position ein.

Was am 23. und 24. September geboten wird, ist ein Zeitstrahl, der die Besucher auf eine Reise vom 11. bis zum 15. Jahrhundert mitnehmen soll. Gut 450 Akteure zeigen in sechs Zeitfenstern, was das Mittelalter prägte. Ort des Geschehens: der „Blaue Haufen“ – ein Landschaftsschutzgebiet östlich des geschichtsträchtigen Rammelsberges. Organisator Claus Meiritz will mit der Veranstaltung neue Maßstäbe in der historischen Darstellung (Living History) setzen. Der Anspruch kommt indes nicht von ungefähr. Meiritz kann auf gute Kontakte in der Darstellerszene und vor allem auf gute Erfahrungen bauen.

Ziel: hohes Niveau

Im Mai 2006 wagte Meiritz erstmals einen eigenen Event mit einigen hundert Akteuren in Kaiserpfalz Werla im Wolfenbütteler Land. Zum Einsatz kamen ausgewählte Gruppen und Einzeldarsteller vom Früh- bis Spätmittelalter. Das Credo war schon damals eine möglichst authentische Inszenierung jenseits kommerzieller Denke. „Viele dieser Akteure sind auch in Goslar dabei“, sagt Meiritz. Die Stadt Goslar, für die Meiritz die Veranstaltung ausrichtet, war schnell von der Idee überzeugt.

Das Franko-flämische Kontingent (FFC), das sich derzeit auf seinen Reenactment-Einsatz im südenglischen Hastings im Oktober vorbereitet, will gut 240 Mitglieder in Goslar versammeln. Sie bringen ihre Ausrüstung im Stil des 11. Jahrhunderts mit. Auch die IG Wolf, die sich dem Hochmittelalter verschrieben hat, ist wieder dabei. Und auch das Nürnberger Aufgebot 1474 hat sich bereits angesagt. Wie schon in Werla, treten die Darsteller der einzelnen Epochen auch an abgetrennten Flächen auf – mit eigenen Programmen und Vorführungen. Handwerker und Händler runden das Bild ab. Auch sie müssen sich in das streng vorgegebene Reglement halten. Heißt: Was nicht in die jeweilige Zeit passt, darf auch nicht zu sehen sein. „Wir halten das Niveau sehr hoch“, verspricht Meiritz.

Debatten zur Qualität

Es gibt in Deutschland keine Standards für historische Darstellungen, auf die Organisatoren wie Meiritz zurückgreifen können. In England etwa hat das English Heritage – eine Art Denkmalamt – die Sache besser im Griff. Das English Heritage vermarktet praktisch als Monopolist die historischen Stätten des Landes und hat schon vor Jahrzehnten strenge Qualitätsauflagen zusammengestellt. Wer die nicht erfüllt, darf an Reenactmentveranstaltungen nicht teilnehmen. So einfach ist das hier zu Lande nicht.

Zahlreiche Besucher sind der Traum jedes Veranstalters. Die Versuchung ist immer da, ein Event mit möglichst spektakulären Aktionen aufzublähen. Das Authentische bleibt dabei zuweilen auf der Strecke oder wird durch moderne Attraktionen verwässert. Die Furcht vor angeblich trocken anmutenden musealen Veranstaltungen, bei denen Gäste sich schnell langweilen könnten, ist groß. Und andererseits lässt die Scheu vor auch nur ansatzweise nach „Showeffekt“ riechenden Programmeinlagen die Organisatoren Kapriolen schlagen. Dass ein Kompromiss durchaus möglich ist, zeigte Meiritz bereits in Werla. Auch „Abenteuer Mittelalter“ in Goslar soll eine „klare didaktische Sprache“ sprechen, sagt der Organisator.

Die Vielzahl von Akteuren mit ihren detaillierten Ausrüstungen dürfte allein schon für viel Aufmerksamkeit sorgen. Neben den Programmpunkten – unter anderem Modenschauen und Kämpfe – stehen die Teilnehmer für Einzelgespräche zur Verfügung. Wer fragt und zuhört, lernt auch etwas über die verschlungenen Entwicklungen des Mittelalters.

Seit über zehn Jahren ist Meiritz selbst als Akteur in der Szene unterwegs. Seine Spezialitäten sind Darstellungen aus den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten und des 10./11. Jahrhunderts. Mit Gleichgesinnten konzipiert er Projekte, die er eben in den „Werkstätten für lebendige Geschichte“ verwirklicht. Etwa Rekonstruktionen archäologischer Funde und deren Einsatz bei Museumsveranstaltungen. Aus dieser Arbeit heraus gewann Meiritz tiefe Einblicke in die Szene und ein Auge für Qualitätsdarstellungen. Und das helfe ihm nun, meint er.

So mancher Akteur behauptet oft, „Living History“ habe ausgedient. In szeneinternen Diskussionen wird oft hitzig über den Gegensatz von „Mittelaltermärkten“ und authentischen Inszenierungen debattiert. Die Etiketten „Living History“ oder „Reenactment“, so wird oft argumentiert, hätten sich überlebt. Einfach weil sie von immer mehr Gruppen verwendet werden – und manchmal unabhängig von der tatsächlichen Güte ihrer Darstellung.

Dabei gebe es seit den 1980er Jahren immer mehr professionelle Darsteller, findet Meiritz. Und Werla 2005 habe gezeigt, dass sich mit ihnen auch großformatige Veranstaltungen zimmern lassen. Es komme eben auf die richtige Zusammenstellung und ein stimmiges Konzept an. Meiritz: „Living History ist nicht tot!“

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2 Kommentare

  1. Und auf www.blauer-haufen.de.vu könnt ihr schonmal schauen, wie es dort aussieht…

    10. September 2006, 22:09 Uhr • Melden?
    von Chris
    1
  2. Hallo,
    als mitglied von Victus Romanus(Cohors XXXII VCR/Cives Taunensium)
    Kann und will Ich nur vom Röm. reenactment sprechen.
    Ich denke, um die Qualität
    von Veranstalltungen zu verbesseren, sollte man
    erst die Qualität der Gruppen verbesseren.
    Wir sind einigen der wenigen, die keinen Rüstungsteile aus Indien
    benutzen. Es ist heutzutagen ja so einfach einen Römergruppe zu starten. Für 600,00 € kauft man sich einen Rüstung, dazu noch ein Buch und man weißt alles über die Röm. Antike.

    11. September 2006, 07:09 Uhr • Melden?

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