Archäotechnik Ritter, Römer, Rentierjäger - ihr wahres Leben

Archäotechnik - das klingt archaisch, urwüchsig. Gemeint ist damit die Erforschung und vor allem das Nachempfinden alter Techniken, mit denen die Menschen vergangener Zeiten ihren Alltag bewältigten. Ob urgeschichtliche Jagdwaffen, römische Uniformen oder mittelalterliche Gerätschaften - all das wird heute detailliert nachgebaut und in historisch interessierten Vereinen oder gezielt für wissenschaftliche Projekte erprobt. Viele Museen nutzen diese Leidenschaft für ihre museumspädagogische Arbeit. Eine Erfolgsgarantie für regen Besuch ist das aber noch nicht.

Leben wie die Römer in Germanien

Die Internationalen Römertage zu Pfingsten im Museumspark Kalkriese haben es mal wieder gezeigt: Buchstäblich zu neuem Leben erweckte Geschichte kann sich zu einem echten Kassenschlager entwickeln. Rund 300 Darsteller aus acht Nationen, die sich der römischen und germanischen Antike verschrieben haben, sorgten in Kalkriese zwei Tage lang für ein “volles Haus”.

Der Ort der legendären Varusschlacht (im Jahre 9 n.C.) im Osnabrücker Land ist alle zwei Jahre Tummelplatz für so genannte Reenactor, die mit Liebe zum Detail ihre Ausrüstung passend zum Darstellungszeitraum in Aktion präsentieren. Exemplarisch seien diese Vereine genannt: Timetrotter (Deutschland), die römische Kavalleriemanöver vorführten – Kampf mit Speer, Lanze und Schwert; die englische Roman Military Research Society (R.M.R.S.), die den gefechtsmäßigen Drill einer römischen Kohorte in voller Montur zeigte; Gladiatora Pannonica (Ungarn), eine Gruppierung, die Waffentechnik und realistisch anmutende Kämpfe verschiedener Gladiatorentypen bot.

Spektakel dieser Güte ziehen das Publikum geradezu magisch an. Aber der wahre Wert dieser “Action” liegt im ganzheitlichen Vorgehen der Gruppen. Kaum ein Verein beschränkt sich auf die bloße Darstellung von Kriegstechnik. Auch ein römischer Soldat hatte einen Alltag – und so beschäftigen sich die Vereine mit antiker Kochkunst, Gewandschneiderei, Medizin oder Schmuckherstellung. Die Ergebnisse nutzen sie im Lagerleben während ihrer Auftritte auch selbst. Der fragende Besucher mit ausreichend Zeit im Gepäck kann an solchen Tagen mehr Praktisches über vergangene Epochen erfahren als in jedem Geschichts-Leistungskurs.

Kunstpark? Museum? – Beides in Einem!

Angewandte Archäotechnik entfacht Neugier auf das Vergangene und macht Appetit auf mehr Informationen. Dieses Bedürfnis lenkt das Museum Kalkriese auf geschickte Weise. Zwar sind hier seit 1989 die Archäologen am Werk, aber die Ausstellung ist alles andere als eine bloße Anhäufung von Fundstücken. Das Innere des stählernen Museumsturms ist vielmehr eine Art Labyrinth, in dem sich der Besucher schrittweise dem Mythos “Varusschlacht” nähert.

Videosequenzen erklären die archäologischen Arbeiten oder verdeutlichen den tragischen Marsch der Römer durch die urwüchsige Landschaft des alten Germanien. Eine Bilderwand spielt mit künstlerischen Zitaten von bildlichen Darstellungen des germanischen Heerführers Arminius vom Altertum bis in die Gegenwart – und setzt sich dabei auch mit der Verherrlichung des Mythos durch nationalistische Strömungen auseinander. Computerterminals und Textinstallationen sprechen die Sinne des kindlichen und erwachsenen Besuchers gleichermaßen an. Die Größe und militärische Macht einer Legion macht ein kleiner Kunstgriff beeindruckend deutlich: Nur im Rahmen der Sonderausstellung “Kalkriese – 15 Jahre Archäologie” zeigt das Museum eine Vitrine voller Playmobilfiguren. 6000 kleine Römer in Marschordnung bieten einen denkwürdigen Anblick.

Der Park bietet noch mehr: Einen symbolischen Marschweg der römischen Armee in Form von Stahlplatten, inklusive eingearbeiteter Zitate zeitgenössischer römischer Schriftsteller, eingekesselt von “Schleichwegen” der Germanen. All das umgeben von dichtem Wald, Moorlöchern und einer Nachbildung des alten Walls, an dem die einheimischen Krieger nachweislich die Armee des Varus bekämpften.

Das Gelände wirkt wie ein Gesamtkunstwerk und lässt gerade deshalb genügend Raum, sich mit seiner eigenen Phantasie dem Vergangenen zu nähern. Ein Gelände, das Museumspädagogen regelmäßig mit Schülergruppen durchforsten. Führungen, die zusätzlich mit Workshops zu alten Handwerkskünsten aufwarten. Motto: Mitmachen und tief in die Geschichte eintauchen.

Doch wer eine Fülle von Veranstaltungen wie den Internationalen Römertagen erwartet, wird enttäuscht. Darüber hinaus bietet das Museum kaum Vergleichbares im Jahr. Dabei ist das Bedürfnis bei Besuchern augenscheinlich da.

Knackige Workshops versus verstaubte Konzepte

Mit Erlebnispädagogik locken auch klassisch aufgebaute Häuser wie das Landesmuseum Hannover. “Hightech in der Steinzeit” ist ein Thema, dem sich der Ur- und Frühgeschichtler Thomas Lessig-Weller widmet. Weg von der reinen Vitrinenschau, so das Motto des Hauses. Und so präsentiert der Wissenschaftler vor kleinen Gruppen die Erzeugnisse eigener Nachbauten: gegerbte Felle, Steinklingen und -beile und Bogen. “Wir wollen zeigen, wie die Dinge entstanden sind”, erklärt Lessig-Weller.

Mit geübten Schlägen bearbeitet er Feuersteinrohlinge zu scharfen Klingen, dass die Funken sprühen. Eine Aktion, die durchaus geeignet ist, auch andere Besucher des Hauses zum Zuschauen zu verleiten. Und die Zeit für Fragen bietet, die ein Experte wie Lessig-Weller direkt beantworten kann – ohne, dass ein Besucher sich erst durch oft trockene Texte an typischen Ausstellungsstücken durcharbeiten muss.

So gerne die Museumsleitung viele solcher Workshops anbieten möchte, stößt sie doch immer wieder an Grenzen. Mit einem knappen Budget haben nicht nur die Hannoveraner zu kämpfen. Seminare kosten Geld. Und das niedersächsische Haus leidet nach Ansicht vieler Besucher an einem Überangebot von Ausstellungen: Neben der Abteilung Ur- und Frühgeschichte gibt es auch Naturkunde, Landeskunde und eine Gemäldeausstellung zu sehen. Für manche ist zudem die Aufmachung der einzelnen Abteilungen schlicht überholt. Das wiederum wirkt alles andere als frisch – was auch ambitionierte Workshops der Erlebnispädagogik manchmal im Sande verlaufen lässt. Archäotechnik kann keine Wunder bewirken, und sei sie noch so gut gemacht.

Lernen, was die Altvorderen konnten

Das Gesamtkonzept muss stimmen, sagen Public-Relations-Profis. Eine Möglichkeit, das äußere Erscheinungsbild und die Angebote in Einklang zu bringen, zeigen Freilichtmuseen wie das in Oerlinghausen (Nordrhein-Westfalen) und die Bachritterburg bei Kanzach (Baden-Württemberg).

Sechs Baugruppen – vom prähistorischen Lager eiszeitlicher Rentierjäger bis zur frühmittelalterlichen Hofanlage – prägen das archäologische Freilichtmuseum in Oerlinghausen. Nachgebaut nach wissenschaftlichen Befunden und buchstäblich belebt durch eine Vielzahl von Aktionen. Zu den wichtigsten zählen Events wie die Keltenfest sowie Wikinger- und Römertage, die jährlich stattfinden. Ein fein abgestimmtes Baukastensystem erlaubt den Mitarbeitern die Betreuung kleiner und großer Gruppen, die beispielsweise zwischen Workshops zum Bogenbau, Leierbau oder Schmiedetechnik wählen können. Übernachtungen im geräumigen germanischen Wohnstallhaus gehören oft dazu. Dinge selbst herstellen und ausprobieren – solche Angebote erfreuen sich seit einigen Jahren großer Beliebtheit.

Oft genug werden Teilnehmer von so genannten Archäo-Workshops allerdings mit fragwürdigen Seminaren abgespeist. Geschichte ist Trend, und das mit allen guten und unschönen Begleiterscheinungen. Daher achten wie bei den bisher genannten Beispielen auch die baden-württembergischen “Bachritter” auf eine wissenschaftliche Begleitung ihres Projekts.

Zu sehen ist hier nichts weniger als eine komplett rekonstruierte Burg eines niederen Adligen zu Beginn des 14. Jahrhunderts: eine so genannte Motte (Holzburg mit einem prägenden Wohnturm) inklusive Wirtschaftsgebäuden. Die Familie der Bachritter ist bis 1332 in Kanzach urkundlich erwähnt. Entstanden ist in der Gemeinde allerdings nicht die originale Burg der Adelsfamilie, sondern die erste wissenschaftlich fundierte Nachbildung einer Holzburg in Deutschland. Es ist eine idealisierte Burg, so die Museumsleitung, wie sie vor 700 Jahren in Kanzach gestanden haben könnte.

Das Umfeld ist für abenteuerliche Erkunden gerade für Kinder bestens geeignet. Auch die Bachritterburg lebt nicht allein vom alltäglichen Besucher, sondern vom Workshopteilnehmer aller Altersstufen. Die Themen sind vielfältig wie das wahre Leben im gar nicht so dunklen Mittelalter: Weben, Wachstafeln oder Öllampen herstellen, Kochen und Schreiben wie im Mittelalter… Ganztagesprojekte bieten die Museumspädagogen vorzugsweise für Schüler ab Klasse 5 an.

Die Burg bietet sich für historische Spektakel geradezu an. Einige Gruppen, die sich der möglichst exakten Darstellung mittelalterlichen Lebens verschrieben haben, gehören mittlerweile zur “Stammbelegschaft” der Bachritterburg. Dabei nimmt sich beispielsweise die IG Mensch im Mittelalter (IG MiM) das 14. Jh., die Marca Brandenburgensis 1260 den Alltag des 13. Jhs. sowie der Verein “Historia Vivens” aus Österreich die Zeit um 1300 vor.

Fazit

Der Begriff “Archäotechnik” allein stellt noch keine Qualitätsgarantie und auch keine Garantie für einen regen Besucherstrom dar. Ähnlich steht es mit “Living History” und “Reenactment”, die auf ähnliche Weise für den Willen stehen, archäologische Befunde und überlieferte Begebenheiten nachzustellen. Gütesiegel sind das nicht und so lohnt stets vor dem Besuch eines Workshops und einer Einrichtung der genaue Blick auf das Angebot.

Wissenschaftlich begleitete Freilichtmuseen beruhen im Allgemeinen auf archäologischen Erkenntnissen. Und Mitglieder der “Archäotechnik-Szene” lassen sich in der Regel gerne in die Karten gucken, was die Herstellung ihrer Ausrüstung und deren Nutzung angeht. Eine Art übergeordnete Qualitätssicherung wollen verschiedene Vereinigungen, in denen sich Museen, Experimental-Archäologen oder Archäotechniker zusammengeschlossen haben.

Eine solche Vereinigung gründeten Wissenschaftler 2001 in Oerlinghausen – die “European Exchange on Archaeological Research and Communication” (EXARC). Dieser lockere Verband knüpft die Fäden zu einer Zusammenarbeit archäologisch orientierter Freilichtmuseen sowie anderen Einrichtungen, die sich mit der Vermittlung “lebendiger Archäologie” beschäftigen. Die Zeitspanne der Verbandsmitglieder umfasst die Epochen von der Ur- und Frühgeschichte bis zum Ende des Mittelalters um 1500.

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