Sparkurs in NRW Quo vadis Archäologie?

Viele Autoren im Netz befassen sich mit den Kürzungen für die Bodendenkmalpflege in NRW. © chronico

Rund 12 Millionen Euro weniger vom Land für Ausgrabungen und Fundsicherung in Nordrhein-Westfalen. Kritiker des Sparkurses haben Ende März eine Online-Petition gestartet; Archäologen warnen vor den Folgen. Wieso?

Protest aus der Wissenschaft

Die Online-Petition der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte DGUF gegen den Sparkurs der NRW-Landesregierung läuft noch bis zum 23. Mai 2013; mindestens 20.000 Zeichner braucht es. Ich habe schon gezeichnet, aber das ist jetzt nicht der Punkt. Mich interessiert, was genau viele Kritiker – aus der Archäologie, von Fachverbänden, Geschichtsinteressierten oder aus der Politik – eigentlich auf die Palme bringt.

Nimmt man die schiere Zahl an Bodendenkmälern und historischen Stätten in NRW, erscheint die Sparsumme vergleichsweise gering. Rund 100.000 soll es geben, notierte die Welt. Und wenn man sich den NRW-Haushalt anguckt, ohnehin: Am 20. März beschloss das Parlament mit der rot-grünen Mehrheit Rekordausgaben in Höhe von 60,5 Milliarden Euro. Wie dieser WDR-Beitrag zeigt, war dabei das beherrschende Thema eine Neuverschuldung. Die Regierung will dennoch auch sparen und verlangte von den Ministerien Vorschläge. Das Bau- und Verkehrsministerium ist in NRW für die Bodendenkmalpflege verantwortlich und legte für diesen Bereich folgenden Sparplan vor: Von gut 12 Millionen Euro soll der Etat im nächsten Jahr auf zunächst 3,3 Millionen Euro sinken – ab 2015 soll es keine Zuschüsse mehr geben. Am 24. März dieses Jahres startete die DGUF die Online-Petition, um Landesregierung und Parlament zur Rücknahme des Sparvorschlags zu zwingen.

Allerdings werden keine Museen geschlossen, keine Institutionen dichtgemacht und denkmalgeschützte Gebäude im Besitz des Landes müssen auch weiter unterhalten werden. Wozu also die Aufregung?

Archäologische Ausgrabung in Lemgo. © G. Nockemann

Öffentlicher Auftrag wird unterminiert

Zunächst einmal gibt es schon längst eine empfindliche Kürzung für die Denkmalpflege in NRW. 2011 förderte das Bauministerium diesen Bereich noch mit 16,7 Millionen Euro. Die Landesmittel sind zusätzliches Geld für Archäologie und Denkmalpflege. Beides wird in NRW vor allem von den beiden kommunalen Landesverbänden im Rheinland (LVR) und Westfalen (LWL) getragen; die Stadt Köln ist in der Sache autark. Kosten für Ausgrabungen und wissenschaftliche Nachsorge hatte das Land zur Hälfte mitfinanziert. Vereinfacht gesagt, standen die 12 Millionen Euro im Grunde für die doppelte Menge Geld. Das ist schon eine Hausnummer. Ohne diese Zuschüsse, so die erste Aussage des Sparkurses, würde es wohl zahlreiche Grabungsprojekte nicht geben. Oder nicht mehr in der nötigen Größenordnung.

Welche Aufgabe die öffentlich geförderte Bodendenkmalpflege hat, fasste das Bauministerium 2011 selbst sehr treffend zusammen : „In der Archäologie und Bodendenkmalpflege werden neben Ausgrabungen auch Konservierungen und Restaurierungen von Bodendenkmälern finanziert. Hinzu kommen wissenschaftliche Untersuchungen und Dokumentationen sowie Präsentationen von Bodendenkmälern und Funden, um diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Oft sind Bodendenkmäler durch nicht vermeidbare Baumaßnahmen gefährdet: Mit den geförderten Ausgrabungen kann gefährdetes Kulturgut erhalten, geborgen und dokumentiert werden.“ Genau das ist also in Gefahr.

LWL bangt um Zukunft

Am 17. April vermeldete der Landschaftsverband LWL eine Protestnote seines Kulturausschusses. Dessen Vorsitzender Dieter Gebhard geißelte die Einsparung als „überproportionale Kürzung“. In einer einmütig, quer über Parteigrenzen hinweg, beschlossenen Resolution des Ausschusses heißt es: „In kaum einem Bereich kommt Sparen so teuer wie in der Denkmalpflege.“ Heute unterlassener Bauunterhalt führe in einigen Jahren zu sehr viel umfangreicheren Instandsetzungsmaßnahmen. Es gehe dabei auch um die Finanzierung sogenannter Notgrabungen, sagte LWL-Sprecher Frank Tafertshofer auf Nachfrage von chronico. „Jeder Neubau kann bedeuten, dass ein Fund gemacht wird.“

Man kann die Gemengelage beispielhaft auch so übersetzen: Das Römermuseum Haltern selbst müsste sich wegen der Kürzung zwar keine Sorgen machen. Aber ohne Ausgrabung oder wissenschaftliche Dokumentation etwa von eisenzeitlichen Funden – die sonst womöglich in Haltern ausgewertet und später ausgestellt würden – versiegt die Quelle an regionalen archäologischen Funden womöglich nach und nach. Weil auch das Geld für Restauration fehlt. Der Spiegel schrieb Ende März bissig: „Künftig werden Funde im Boden besser aufgehoben sein als in den Händen der Archäologen.“

Politiker und Fachleute befürchten zudem, dass das Beispiel in NRW, so der Sparkurs durchgesetzt wird, auch in anderen Bundesländern Schule macht. Noch sieht es dort vergleichsweise gut aus. In Baden-Württemberg gibt das Land laut „Die Welt“ rund 24 Millionen Euro jährlich aus; eine Kürzung ist bislang nicht in Sicht. Aber es geht noch ganz anders, wie ein Blick nach England zeigt. Richtig, England ist nach Bevölkerungszahl gut drei Mal so groß wie NRW. Dennoch ist die Förderung für das English Heritage, das das historische Kulturgut verwaltet, vergleichsweise enorm. Vom Kulturministerium bekam die Institution im Berichtszeitraum 2010/11 eine Zuweisung in Höhe von 129,9 Millionen Pfund (heute umgerechnet fast 154 Millionen Euro). Weitere Einnahmen wie Eintrittsgelder sind da nicht eingerechnet.

Archäologenmeinung 1: Guido Nockemann

Für Guido Nockemann sind die Sparzwänge nicht vollkommen überraschend. Der nordrhein-westfälische Archäologe – als freischaffender Wissenschaftler in der Branche unterwegs – sieht schon längst einen Rückzug des Landes aus der Kulturförderung. „Aber der totale Ausstieg ist erschreckend neu“, berichtet er mit Blick auf die aktuelle Mittelkürzung in der Archäologie.

Freier Archäologe: Guido Nockemann bei der Auswertung von Grabungsfunden. © G. Nockemann

Im Grunde sei es so, sagt Nockemann: Durch das Verursacherprinzip – Investor plant Neubau, bei Bauarbeiten werden Funde gemacht – sollten theoretisch Grabungsfirmen bezahlt werden. Aber das sei nur ein Teil der wissenschaftlichen Aufarbeitung. „Alles andere wie Forschung, Konservierung, Archivierung, Vermittlung, Gutachten oder Publikationen muss von den Verbänden bzw. den Städten getragen werden.“ Dieser Part werde vom Verursacherprinzip eben nicht abgedeckt. „Verbände und Städte haben schon angekündigt, dass sie den Verlust an Zuschüssen vom Land nicht kompensieren können.“ Mit seinem Rückzug vermittle das Land NRW den Eindruck, als sei der in der Landesverfassung verankerte Denkmalschutz überflüssig.

Für freie Archäologen kann der Sparkurs im schlimmsten Fall die Arbeitslosigkeit bedeuten. „Die Jobchancen sind schon seit Jahren mehr als bescheiden. Viele arbeiten bei privaten Grabungsfirmen“, sagt Nockemann. Weniger Zuschüsse – weniger Projekte – weniger Aufträge.

In Fachkreisen gilt die finanzielle Ausstattung der öffentlich geförderten Archäologie und Denkmalpflege schon längst als kaum ausreichend – und das gilt bundesweit. Von der personellen Ausstattung ganz zu schweigen. Im vergangenen Jahr lobte die DGUF auch deshalb eine gesetzliche Neuerung in NRW zunächst als „Stärkung der Archäologie“: Das Schatzregal, das die Eigentumsverhältnisse an herrenlosen Funden regelt, und das Verursacherprinzip wurden Teil des Koalitionsvertrags von Rot-Grün. Privates Geld von Investoren plus Zuschüsse des Landes gleich mehr Geld, so die Rechnung seinerzeit.

Archäologenmeinung 2: Rainer Schreg

„Dass Verursacherprinzip und Schatzregal nun aber dazu herhalten sollen, dass sich das Land aus seiner Verantwortung zurückziehen möchte – das hat mich überrascht“, sagt Rainer Schreg, Archäologe an einem Forschungsinstitut und Betreiber des wissenschaftlichen Blogs Archaeologik. Dort hatte sich Schreg ebenfalls mit den gesetzlichen Bestimmungen in NRW befasst.

Schreg, der sich regelmäßig mit den Entwicklungen der Archäologie in Deutschland, aber auch international, beschäftigt, sieht zwar auch künftig Grabungen in NRW. „Schließlich soll das Verursacherprinzip eingeführt werden.“ Ich habe den Wissenschaftler aber um eine Einschätzung gebeten und gebe seine Stichworte hier möglichst umfangreich wieder:

(Zitat Anfang):

  • Ohne Landesmittel ist es nicht möglich, dort eine Qualitätssicherung zu erreichen (schließlich werden dabei die Grabungen vom Bauherrn bezahlt, der v.a. an einer schnellen Entsorgung der Archäologie interessiert ist). Eine schlampige Dokumentation ist nicht verwertbar.
  • Gelder für Restaurierung oder Magazinierung, geschweige denn einer Ausstellung, einer wissenschaftlichen Auswertung oder Publikation sind nicht mehr vorhanden.
  • Ohne Nachbereitung der Ausgrabungen sind die Funde weder für die Wissenschaft noch für die Öffentlichkeit zugänglich und auch nur sehr schwer auswertbar.
  • Schon jetzt ist es ein Problem, dass die Finanzierung von Auswertungen kaum zu leisten ist. Man arbeitet nur noch mit Studienabschlussarbeiten an Universitäten. So sind nur wenige Grabungsauswertungen zu bewältigen und es sind immer Leute mit relativ geringer Erfahrung am Werk. Stellen für „Auswerter“ gibt es schon lange nicht mehr.
  • Mit dem Verursacherprinzip ist nur das unmittelbar Bedrohte zu retten. Wissenschaftlich notwendige Erweiterungen der Grabungsfläche und ergänzende Untersuchungen werden nicht machbar sein. Wenn ein Grab halb in der Baugrube liegt und halb außerhalb kann es nur zur Hälfte untersucht werden. Wissenschaftlich ist das wertlos. Auch eine Grabung muss, damit sie wissenschaftlichen Ertrag hat, in Kontexte gesetzt werden. Zur Beurteilung einer Siedlung kann es dann eben nötig sein, ergänzende geophysikalische Prospektionen zu machen, um zu wissen, ob man Siedlungskern, Hinterhöfe oder Ortsrand ausgegraben hat.
  • Eine adäquate Bearbeitung von Zufallsfunden wird nicht mehr möglich sein. Die Betreuung von Ehrenamtlichen wird noch mehr leiden. Noch mehr Sammler werden frustriert ihre Funde nicht mehr melden – trotz geplanten Schatzregals – und in die Illegalität abwandern.
  • Das Verursacherprinzip in NRW wird nur dann wirksam sein, wenn das Bodendenkmal vorher schon bekannt war. Alle Neuentdeckungen – und das ist in der Archäologie eben trotz aller Prospektionsmethoden (die eben auch finanziert sein wollen) ein erheblicher Teil der Funde – wären nicht geschützt und könnten nicht untersucht werden. Sie werden dem Bagger anheim fallen. Mit Ehrenamtlichen sind die kurzfristigen Notgrabungen nicht zu realisieren, die Funde zerfallen.
  • Das Rheinische Landesamt schätzte vor kurzem, dass 95 Prozent der Fundstellen im Braunkohletagebau undokumentiert verloren gehen – jetzt schon. Die hochgelobte Braunkohlenstiftung deckt die eigentlich nötigen Kosten bei weitem nicht ab und hat die Industrie eigentlich billig freigekauft. Davon bleibt unbeschadet, dass die Kollegen im Laufe der Jahre dort wichtige Forschungen geleistet haben, richtige Pionierarbeit, was die Siedlungsstrukturen der Jungsteinzeit, der Römerzeit oder etwa des Mittelalters betrifft. Aber das waren in der Tat immer nur punktuelle Einblicke mit einer großen Restunsicherheit in Bezug auf die ganze Landschaft. Für viele Themen wurden die Quellen vernichtet – etwa für die Frage der mittelalterlichen Siedlungslandschaft. Dazu wurden zwar einige gute Arbeiten publiziert, aber solide Aussagen zu Siedlungsverlagerungen (wichtig beispielsweise für das Verständnis der Gemeindebildung im Mittelalter oder auch die Frage der Nachhaltigkeit vorindustrieller Landwirtschaft) sind bei der nur punktuellen Abdeckung der Landschaft nicht zu gewinnen. Hier wird in Zukunft die Verlustrate noch deutlich ansteigen.

(Zitat Ende). Soweit also einige Punkte aus der Sicht von Rainer Schreg.

Und was bleibt nun? Ein Anfang wäre die Zeichnung der Online-Petition der DGUF; es fehlen noch viele Stimmen. Sodann: Augen und Ohren offenhalten, was in NRW und anderen Bundesländern in Sachen Denkmalpflege passiert.

Update 28. April 2013

Die DGUF schreibt heute, dass die Politiker in NRW langsam zu reagieren beginnen. „Offenbar kann man mehr 18.000 Unterschriften in vier Wochen – darunter außer breiter internationaler Unterstützung auch mehr als 8.000 Zeichner aus NRW und viele prominente Denkmalpfleger und Archäologen – nicht mehr unter den Teppich kehren. Inzwischen wurde von Seiten der Landespolitik mehrfach betont, dass die Kürzungen bzw. Streichungen für 2014 und 2015 ja noch gar nicht beschlossen seien, es handele sich lediglich um Überlegungen”, notiert die Gesellschaft in ihrer Mitteilung.

Aus Sicht der DGUF ist die Gefahr aber damit noch längst nicht gebannt. Natürlich werden die Haushaltspläne der kommenden beiden Jahre erst noch beschlossen. Aber es gebe eben auch noch kein klares Dementi – und keine Ansage, dass die Kürzungen so nicht kommen würden.

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1 Kommentare

  1. Besten Dank für den Beitrag!
    Letzte Pressemeldungen unter archaeologik.blogspot.de

    29. April 2013, 15:04 Uhr • Melden?
    von R. Schreg
    1

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