Neandertaler-Film Faust im Fellröckchen

Ao – der mit den Pferden spricht. © Patrick Glaize-UGC YM / Sunfilm Entertainment

Erneut hat sich das Kino der „Steinzeit“ angenommen, wieder ist das Projekt nicht ganz gelungen. Mit dem Epos „Ao – der letzte Neandertaler“ will der französische Naturfilmer Jacques Malaterre das Leben in der Steinzeit einfangen.

Drama in der Steinzeit

Filmplakat zu Ao – der letzte Neandertaler © Sunfilm Entertainment

Der Plot ist schnell erzählt: Ao wird als Kind von seinem Zwillingsbruder Oa getrennt. Später, als Ao erwachsen ist, wird sein Stamm von modernen Menschen überfallen, die alle seine Angehörigen töten, auch seine Frau und sein neugeborenes Kind. Ao macht sich auf die Suche nach seinem Bruder und trifft dabei auf die Horde Homo sapiens, die schon wieder auf Menschenjagd ist. Er entkommt, und mit ihm die junge hochschwangere Cro-Magnon-Frau Aki. Die beiden tun sich trotz großer gegenseitiger Ablehnung zusammen und erleben manches Abenteuer. Schließlich kehren beide an den Ort von Aos Kindheit zurück und müssen feststellen, dass Ao der letzte Überlebende seiner Art ist.

Der ambitionierte und bildgewaltige Streifen überzeugt jedoch weder beim ersten noch beim zweiten Hinschauen. Schon wenn es um Kleidung, Mimik und Bewegungen der Protagonisten geht, verfällt auch dieser renommierte Regisseur in dieselben Klischees wie so viele andere vor ihm.

Jagdszene aus dem Film „Ao – der letzte Neandertaler“. © Patrick Glaize-UGC YM / Sunfilm Entertainment

Warum tragen seine Neandertaler in der eiszeitlichen Kälte Fellröckchen, Moonboots und Pulswärmer, bleiben aber ansonsten fast unbekleidet oder mit Fellfetzen behängt? Wer in solche Flattergewänder gehüllt auf die Jagd ginge, würde schon beim ersten Spurt unweigerlich über einen Zipfel stolpern und mit der großen Nase durch den Schnee pflügen, wenn er nicht vorher bereits erfroren ist. Ein Überleben unter subarktischen Bedingungen ist nur mit anliegender, wärmender Kleidung vorstellbar. Der Neandertaler war – auch trotz fehlender Nähnadeln – durchaus dazu in der Lage, eine solche zweckmäßige Kleidung anzufertigen.

Die Reihe der wissenschaftlichen Fehler in diesem Film ließe sich endlos fortsetzen, trotz angeblicher akademischer Beratung: Eisbären in Südeuropa, Knochenflöten beim Neandertaler, Ritualmorde nach Maya-Art, Menschenjagden …

Unrealistische Handlungen

Die Handlungsstränge wirken sehr bemüht und zum großen Teil recht unrealistisch. Und der Film wird dann völlig unglaubwürdig, wenn die ungepflegten, grunzenden Primitivlinge hochphilosophische Gedankengänge äußern, wenn auch nur über die Sprecher im Off.

Streckenweise wirkt der Streifen wie ein Stummfilm aus den Anfängen des Kintopps, nur in Farbe und noch viel plakativer. Fast unerträglich die misanthropische Polarisierung: Auf der einen Seite steht Ao, Pazifist und Heiliger, der mit den Tieren spricht; eine Mischung aus Franz von Assisi und Goethes Faust, mit einem Totenschädel in der Hand über den Sinn des Lebens grübelnd. Auf der anderen Seite der Homo sapiens sapiens, blutrünstig, grausam, gierig, der nichts als Töten im Sinn hat und Neandertaler mordet wie einst Indianer im Wilden Westen.

Im Kino stimmt das Neandertaler-Bild noch nicht; eher schon im Museum der Pfalz Speyer: Rekonstruktion von Marcel Nyffenegger und Beat Künzler. © Marcel Schwarzenberger

Natürlich weiß niemand, wie das Verhältnis beider Menschenarten zueinander wirklich war, aber diese platte Schwarz-Weiß-Malerei ist absolut undifferenziert und sagt wesentlich mehr über das seelische Befinden und die Ansichten des Produzenten aus als über die Urgeschichte und ihre Protagonisten. „Ich bin eins mit der Natur!“ kann nur jemand sagen, der eben nicht eins mit der Natur ist, sondern sein Dasein reflektiert.

Engagierte Darsteller

Dennoch fällt es mir trotz aller genannten Defizite schwer, den Film völlig zu verreißen, denn ich kenne aus meiner eigenen Tätigkeit Dreharbeiten zu prähistorischen Themen nur zu gut, um vor den Darstellern nicht den Hut zu ziehen.

Zwei Neandertaler auf der Jagd. © Zeichnung: Wulf Hein

In den Filmspecials wird eine Szene am Set gezeigt, in der man den ganzen Stolz der Schauspieler über ihre Leistung erkennen kann, und das ist authentisch und gerechtfertigt, hilft aber nicht über den faden Gesamteindruck hinweg. Verglichen mit Roland Emmerichs Säbelzahnschmonzette „10.000 B.C.“, der mit dem Paläolithikum so wenig zu tun hat wie Fische mit Radfahren, ist der Film aber noch ganz ansehnlich. Andere Werke wie Jean-Jacques Annauds „Am Anfang war das Feuer“ sind unter Prähistorikern auch ziemlich umstritten, kommen aber längst nicht so pathetisch und moralisierend daher.

Kurzum: Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis ein wissenschaftlich einigermaßen korrekter, spannender und unterhaltsamer Steinzeitfilm gedreht wird. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt … aus?

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