Alexander-Grab Liegt Alexander in Venedig?

Der Alexanderroman war ein Bestseller im Mittelalter. Er diente vielen christlichen Fürsten als erbauliche Lektüre. So fantastisch die mythischen Ausschmückungen des Romans auch waren – die Geschichten um das verschollene Grab des Makedonen sind es nicht minder. Der Archäologe Dirk Husemann wühlte sich in die Tiefen des Mythos’. Und hat unter anderem Erstaunliches über Venedigs Stadtheiligen zu berichten: Möglicherweise ist der seit Jahrhunderten verehrte Leichnam im Markusdom gar nicht der des Apostels ... Husemanns Buch bietet eine unterhaltsame Schnitzeljagd.

Eine berechtigte Frage

Über Alexander den Großen (356 bis 323 v.Chr.) ist viel geschrieben worden. Selten kam aber ein Buch in so flüssiger und zugleich informativer Form daher, wie das von Husemann. Und mit seiner Konzentration auf die Geschichten um das Grab Alexanders und die jahrhundertelange Suche nach ihm stößt er in eine echte Lücke. Es wird auch Zeit, dass sich wieder jemand dieses Themas widmet: Seit zehn Jahren wird das Hafenbecken Alexandrias erforscht, in dem die antike Stadt zum Teil versunken ist. Der französische Tauchspezialist Frank Goddio bereitet derzeit eine Ausstellung in Berlin vor. Da darf ruhig mal wieder gefragt werden: Wo ist eigentlich das Alexandergrab geblieben?

Husemann fasst die verfügbaren Spuren zusammen. Natürlich bietet auch er eingangs eine knappe Übersicht zum Zug Alexanders bis an die Grenze Indien – und zu seinem Tod, der selbst schon ein Mythos ist. Gift? Mord? Fieber? Der Tod des jungen Feldherrn mag viele Gründe haben; Husemann hält sich nicht lange dabei auf. Sein Interesse gilt der Grablege des kostbaren Leichnams, dem später noch die römischen Kaiser gehuldigt haben sollen. Caracalla reiste 215 n.Chr. nach Alexandria. Bis dahin war die Existenz des Grabes in der ägyptischen Stadt gesichert. Danach beginnen die Mythen.

Spannende Spurensuche

„Sagt mir, wer kennt heute das Grab Alexanders des Großen?“, fragte Anfang des 5. Jhs. der Bischof von Konstantinopel, Johannes Chrysostomos. Damit wandte er sich gegen den Größenwahn vieler Menschen. Für Husemann ist dies ein wichtiger Hinweis in eigener Sache: „Sein Ausruf ist ein Hinweis darauf, dass das Grab um 400 bereits verschollen war.“

Für den Autor ist die Suche nach dem Grab eng mit der Geschichte Alexandrias verbunden. Definitiv lag der Leichnam hier – aber die wechselvolle Geschichte der Stadt (Erdbeben, Christianisierung, Ende der heidnischen Gebräuche, die auch Tote wie Alexander ehrten, sowie die Eroberung durch die Moslems) bot etliche Anlässe, den toten König aus der Stadt herauszuschaffen oder zumindest an verschiedenen Orten aufzubahren. Das Problem: Auf dem Festland sind fast alle antike Spuren überbaut. Grabungskampagnen müssen warten. Und noch sind längst nicht alle Spuren aus dem Hafenbecken gesichert.

Husemann forscht also in historischen Überlieferungen und zieht zeitgenössische Quellen heran. Sein Buch ist eine farbenfrohe Darstellung der Suche anderer Schatzjäger. Mit einer griechischen Archäologin begibt sich Husemann zur Oase Siwa. Dort stand einst das Amon-Heiligtum, deren Priester Alexander vor seinem Persienfeldzug als Gottes Sohn bezeichneten. Aus dieser Legende heraus entstand das Bild vom Makedonen als gehörnter Zeus-Amon, wie es auf vielen Münzen geprägt wurde. Aber Husemann gibt auch die abenteuerlichen Beschreibungen von Reisenden verschiedener Jahrhunderte wieder, die angeblich das Grab Alexanders in der von ihm gegründeten Stadt gefunden haben wollen. Und Husemann legt auch die Fakten dar, die gegen diese Stellen sprechen.

Die Lieblingsthese eines britischen Historikers aus dem Jahre 2004 lautet so: Wenn Alexanders Leichnam noch existiert, müsste er im Markusdom in Venedig liegen. Eine Untersuchung verweigern Kirche und Stadt bis heute – was die Legende weiter nährt. Sicher ist, dass im 9. Jh. venezianische Kaufleute nach Alexandria reisten. Dort lag angeblich der Apostel Markus in einer Kirche aufgebahrt – mitten in der muslimischen Stadt. In einem Husarenstück schmuggelten die Venezianer die Leiche in ihre Heimat, wo sie seither verehrt wird und den Ruhm der Seerepublik von San Marco begründete.

Husemann stellt auch andere, weniger wissenschaftliche Suchaktionen dar. Die Rede ist von einem legendären Fund in den USA, einem Psi-Forscherteam in Alexandria und einer angeblichen Spur in Japan. So aberwitzig dies im ersten Moment klingen mag – diese ernsthaft gemeinten Erklärungsversuche gehören für Husemann zur Geschichte der Suche nach dem Alexandergrab einfach dazu. Damit hat er Recht und er lotst den Leser auch in diesen Grenzbereichen mit seinem launigen Sprachstil durch gewisse Untiefen. Schade nur, dass der Autor seine Spurensuche auf ganze 160 Seiten einzwängt.

So blieb wenig Platz, um zu klären, ob der Leichnam Alexanders tatsächlich noch existieren kann. Der Makedone starb im sumpfig-feuchten Klima Babylons. Angeblich dauerten die Vorbereitungen für seine Überführung zwei Jahre. Wie gut waren die Einbalsamierer? Und: Woran würden wir zweifelsfrei erkennen, dass wir Überreste des Griechen vor uns haben? Es bleiben spannende Fragen offen. Husemann hat einige gestellt und nicht weniger spannende Antworten gefunden.

Eines ist sicher: Das Alexandergrab hat bis heute niemand gefunden.

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