Bogenschießen Neuauflage eines Klassikers

Der Verlag Angelika Hörnig kümmert sich um die Verbreitung von Fachliteratur zu vielen Facetten des Bogenschießens. Zu den Neuerscheinungen zählt ein Buch von Dr. E. Mylius, das als Faksimiledruck eine Einführung in den Bogensport bietet.

Fundiertes Lehrbuch

Einst um das Jahr 1920 als elfter Band der „Miniatur-Bibliothek für Sport und Spiel“ im Verlag Grethlein & Co erschienen, war es für lange Zeit das einzige deutschsprachige Lehrbuch zum Thema Bogenschießen. Und wie es sich für ein anständiges Lehrbuch gehört, wird in 14 Kapiteln nicht nur die Ausrüstung ausführlich behandelt. Auch theoretische Hintergründe dieses ursprünglichen, „der Gesundheit äußerst zuträglichen Sportes“ werden beleuchtet. Als 15. Kapitel findet der Leser eine Einführung zum Umgang mit dem Bumerang, der zusammen mit dem Bogen zu den ältesten und sicherlich faszinierendsten Jagd- und Sportgeräten zählen dürfte.

Im Kapitel „Der Wert des Bogenschießens“ ist Interessantes über Schießleistungen von namhaften Schützen zu lesen. Diese Zeilen waren von Mylius wohl als Ansporn, aber zugleich auch als Beschwichtigung an die Adresse der Anfänger gerichtet, wenn die Ergebnisse der ersten Versuche weit von denen der Spitzenschützen abwichen. Die Auflistung der erreichten Schießergebnisse ist zudem beredtes Zeugnis für die Leistungsfähigkeit einfacher Holzbögen. Mylius räumt auch der Bedeutung des Bogens als Jagdwaffe und als Sportgerät ausreichend Platz ein.

Ausrüstung und Training

In sieben aufeinander folgenden Kapiteln widmet sich der Autor des Weiteren der Ausrüstung des Bogenschützen. Vom Bogen über die Sehne bis hin zum Reinigungsquast aus Wolle zum Säubern der Pfeile wird alles behandelt. Bereits im zweiten Satz des Kapitels „Der Bogen“ weist Mylius darauf hin, dass die Zugstärke eines Bogens den Kräften des Schützen angemessen sein sollte und keinesfalls zu stark gewählt werden sollte. Ein Rat, der sogar 80 Jahre nach Erscheinen des Lehrbuches selbst von erfahrenen Bogenschützen nicht immer beherzigt wird.

In unserer Zeit, in der selbst in der Traditionellen Bogenszene modernste Materialien und Verarbeitungstechniken mit entsprechender Steigerung der Wurfleistung Einzug gehalten haben, ringt einem die Empfehlung, mit einem Bogen von 44 bis 52 Pfund Zuggewicht auf 90 Meter zu schießen, schon einigen Respekt ab. Dies umso mehr, bedenkt man, welche Bögen zu Mylius’ Zeiten zum Einsatz kamen.

Es handelte sich um mannshohe Holzwaffen, die in der Tradition des englischen Langbogens standen, einem Bogentyp, der nicht unbedingt für seine extreme Schnelligkeit bekannt ist. Auch eine Bauanleitung für einen derartigen Bogen enthält der Autor dem Leser nicht vor. Allerdings sollte der am Bogenbau interessierte Novize auf das Angebot weitaus geeigneterer Literatur zurückgreifen. Tipps zur Pflege und zum Umgang mit dem Bogen schließen das Kapitel ab.

Den Pfeilen widmet Mylius vier Seiten und geht dabei auf die wichtigen Konstruktionselemente damals im Handel erhältlicher sowie selbst gemachter Pfeile ein. Allerdings vermisst man bei ihm Ausführungen zum Thema Spine-Wert (Biegesteifigkeit des Pfeilschaftes), dessen korrekte Einhaltung nach heutiger Ansicht unverzichtbar für exakten Pfeilflug ist.

Besonders viel Aufmerksamkeit wird dem Bau der Sehne gewidmet. Obwohl die Anleitung einige erklärende Zeichnungen hätte gut vertragen können, ist die vorgestellte Fertigungsweise eine interessante Ergänzung der handwerklichen Fähigkeiten rund um den Bogenbau.

Selbstverständlich folgt dieser Anleitung auch eine Beschreibung, wie der Bogen richtig bespannt wird. Standhöhe und Nockpunkt werden ebenso besprochen, wie die Möglichkeit, die Sehne „geschickt“ aufzuziehen. Mylius versäumt es auch nicht, notwendige Ausrüstungsgegenstände, wie Arm- und Fingerschutz sowie Köcher, in aller Ausführlichkeit vorzustellen. Auch die damals üblichen Strohscheiben mit englischer Wertung erfahren eine intensive Darstellung.

Bemerkenswert sind Mylius’ Trainingsempfehlungen. So wie die Veränderung der Zieldistanzen für das Training jagdlichen Schießens noch heute Standard ist, so beeindruckend ist die geforderte Pflicht zum Führen eines Schießbuches, in dem sämtliche Schussergebnisse einzutragen sind. Somit erhält der Schütze ein Dokument, das unbestechlich Auskunft über seine Leistungsentwicklung gibt. In diesem Detail lässt sich die Ernsthaftigkeit erkennen, mit der Mylius zu seiner Zeit den Bogensport propagierte.

„Für Mann und Weib gleich gut geeignet“

Das Kapitel „Theorie des Bogenschießens“ ist für alle Leser höchst aufschlussreich, die sich für die Historie der Technik interessieren, die hinter dem Bogenschießen steht. Wie bereits oben erwähnt, scheint die Bedeutung des Spine-Wertes für Mylius unbekannt gewesen zu sein. Die individuell an den Bogen angepasste Biegesteifigkeit des Pfeilschaftes bildet die Grundlage für den exakten Flug.

Erst die nötige Weichheit des Schaftes gewährleistet, dass sich der beim Abschuss durch die beschleunigte Sehne durchgebogene Schaft sauber um den Bogengriff biegt und sich auf dem Weg zum Ziel auspendelt. Diese Erkenntnis fehlt bei Mylius, wodurch das Kapitel nicht mehr als up to date angesehen werden kann. Es ist aber umso mehr Ausdruck dafür, dass bereits vor der Zeit enträtselnder High-Speed-Aufnahmen immer Erklärungen für den zielsicheren Pfeilflug gesucht wurden.

Selbstverständlich nimmt sich Mylius auch die Zeit, auf knapp zehn Seiten, den praktischen Ablauf des Schießvorganges kompetent zu skizzieren. Dieser komplexe Vorgang wird bei ihm in fünf Einzelschritte zerlegt: Aufstellung, Richtung, Ziehen, Zielen und schlussendlich der Abschuss. Und auch Empfehlungen für das Schießen bei windigem Wetter kommen bei Mylius nicht zu kurz.

Zu den historischen Schmankerln zählt zweifellos die Ausführung zum Gesellschaftsschießen. Hier erfährt der Leser, nach welchem Regelwerk um die zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in England, Amerika, Frankreich und Belgien das Scheibenschießen praktiziert wurde und auf welche Ehrenpreise Schützen in England hoffen durften.

Zugegeben, im 77-seitigen Vademekum sind nicht alle Feinheiten des Bogenschießens aufgeführt und der Markt bietet inzwischen weitaus bessere Anleitungen für den richtigen Gebrauch von Pfeil und Bogen. Mylius gibt Empfehlungen für den Umgang mit der für ihn geläufigen Bogenausrüstung und konzentriert sich auf die Darstellung des Scheibenschießens, wie er es praktizierte. Wie bei allen Beschreibungen technisch geprägter Vorgänge, die mehrere Optionen offen lassen, haftet dem Propagieren eines „Königswegs“ immer ein gewisser Makel an.

Jedoch ist die Bedeutung des Büchleins für die Entwicklung des Bogensportes in Deutschland nicht zu unterschätzen und es sollte als historisches Dokument seinen Platz in jeder ernst gemeinten Bibliothek mit Bogenliteratur finden. Darüber hinaus erfährt man sehr viel Wissenswertes über die Bogenszene der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts, aber auch über die damalige Kultur des Bogenschießens. Und nicht zuletzt der angenehm antiquierte Schreibstil mit Sätzen wie „Ich gehe in meiner Begeisterung lange nicht so weit und werde mich hüten, im Preise meiner Lieblingswaffe der Wahrheit Gewalt anzutun.“ machen „Bogenschießen“ von E. Mylius zur absolut lohnenswerten Lektüre an verregneten Sonntagen, die nicht auf dem Schießplatz verbracht werden können.

Ergänzt wird das Bändchen über das Bogenschießen um eine Anleitung zum Umgang mit dem Bumerang. Auf 18 Seiten offeriert Oswald Faber, der Autor der Einführung, dem Leser viele Details über die Geschichte und die Arten des Bumerangs – und natürlich auch, wie man ihn dazu bringt, wieder zum Werfer zurück zu kehren. Man kann sich nur der Meinung des Autoren anschließen, wenn dieser behauptet: „Das Bumerangwerfen ist wie das Bogenschießen eine beliebte und gute Übung des Körpers, und es erregt bei jung und alt beiderlei Geschlechts helle Freude“. Dies hat sich glücklicherweise seit über 80 Jahren nicht geändert und die Zeichen stehen gut, dass sich das nicht so schnell ändern wird – auch Dank des Engagements von Personen wie Angelika Hörnig.

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