Aachener Erklärung Über 100 Unterzeichner

Liebe Unterzeichner und Unterstützer der Aachener Erklärung für Living History, Hinsehen, Zeichen setzen gegen die Gefahren von rechts, links oder auch durch religiösen Übereifer – das ist in kurzen Worten der Sinn der Aachener Erklärung…

Liebe Unterzeichner und Unterstützer der Aachener Erklärung für Living History,

Hinsehen, Zeichen setzen gegen die Gefahren von rechts, links oder auch durch religiösen Übereifer – das ist in kurzen Worten der Sinn der Aachener Erklärung für Living History. Die Aachener Erklärung hat viel schneller Verbreitung und Anerkennung gefunden, als wir es uns vorgestellt hatten. Über 100 Einträge von Einzelpersonen, aber vor allem vielen Gruppen, die sich für eine seriöse Geschichtsdarstellung engagieren möchten, frei von Ideologie und Fanatismus.

Sie setzen ein deutliches Zeichen: Stopp! Nicht mit uns. Mittlerweile findet sich das Logo auf vielen Websites. Und die Diskussionen in Internetforen, aber auch die nachdenklichen Zuschriften, die uns erreicht haben, bestätigen uns darin, dass die Aachener Erklärung ihren Sinn hat.

Einen Wermutstropfen gab es: eine Darsteller-Gruppe – welche die Ziele der Aachener Erklärung weiterhin unterstützt – schied auf eigenem Wunsch aus der Liste aus, weil sie ihre Definition von qualitätvoller Living History nicht mit denen einiger anderer Unterzeichner vereinbar sah und ihr Name nicht neben eben jenen zu lesen sein sollte. Doch was ist qualitativ gute Living History? Der „Vorfall von Paderborn“ führte letztendlich immer wieder zu dieser schwierigen Frage.

Die Diskussion um Qualität von Living History in Museen war in den diesen Institutionen bereits lange vor den Ereignissen von Paderborn ins Rollen gekommen – der Boom von Mittelalterfesten und Reenacment zwingt die Museen dazu, Living History als neues Phänomen der Geschichtsrezeption zu erkennen und den Umgang damit zu diskutieren. Es mag reiner Zufall gewesen sein, dass diese beiden Themen im Frühjahr fast zeitgleich in eine breitere Öffentlichkeit traten. Seitdem sind sie scheinbar fest miteinander verwoben – ob diese Verquickung der Living History in Deutschland geschadet hat, wird die Zukunft zeigen.

Unbestritten haben sich beide Themenkomplexe im weiteren Verlauf gegenseitig beeinflusst und die Diskussion befördert. Das Schlagwort „Qualitätssiegel“, das bereits vor Paderborn die Gemüter bewegte, erhielt dadurch eine neue Brisanz.

Diesem Umstand ist es wohl zuzuschreiben, dass die Aachener Erklärung schnell als eben ein solches Qualitätssiegel missverstanden und auch abgelehnt wurde. Doch als wir die Aachener Erklärung ins Leben riefen, waren wir weit davon entfernt, die Living History-Szene in „gut“ und „schlecht“ teilen zu wollen. Die Aachener Erklärung kann und will kein Qualitätssiegel sein. Sie setzt ein Zeichen und soll einen Denkanstoß liefern, dessen Notwendigkeit durch den Paderborner Vorfall deutlich wurde.

Ein weiteres Missverständnis ist es, die Aachener Erklärung fordere dazu auf, auf jegliche Darstellung politischer und religiöser Phänomene zu verzichten. Wer das glaubt, deutet den Text der Erklärung falsch. Politik und Religion haben die Menschen und ihre Geschichte geformt und sind deshalb ein untrennbarer Teil derselben. Sie aus der Darstellung auszuklammern, käme einer Geschichtsfälschung gleich. Der zentrale Vorwurf gegen die Reenactment-Gruppe „Ulfhednar“ lautete aber eben, dass sie Geschichte verfälschten, um sie zum Transport ihrer eigenen politischen oder weltanschaulichen Botschaften zu missbrauchen.

Und auf genau auf diesen Sachverhalt zielt die Aachener Erklärung, wenn es heißt: „Deshalb bekennen wir uns ohne Einschränkung zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität.“ Nicht das Auslassen und auch nicht das Umformen für eigene Zwecke, sondern eine möglichst differenzierte und von persönlichen Werturteilen freie Wiedergabe soll das Ziel der Living History sein.

Denn es geht darum, dem Leben und Wirken der Menschen in der Vergangenheit gerecht zu werden – und sie nicht zum Vehikel der eigenen politischen, religiösen, oder auch romantischen Anschauungen zu machen. Nur dann ist Living History mehr als ein privater Freizeitspaß, nur dann hat Living History in der Öffentlichkeit ihre Berechtigung.

Aber – diese Neutralität ist ein schnell formuliertes Ziel; es zu verwirklichen ist eine große Herausforderung! Der Weg zu diesem Ziel ist ein immer währender Prozess der Bewusstseinsbildung – bei sich selbst und dem Gegenüber. Nicht die Abgrenzung von anderen, sondern der Dialog wird den Weg zu einer seriösen Living History ebnen.

Um der Angst vor einem „Qualitätssiegel Aachener Erklärung“ nicht weiter einen Nährboden zu geben, haben wir uns entschlossen, kein Diskussionsforum auf der Internetpräsenz living-history-network.de einzurichten. Stattdessen bitten wir Sie und Euch alle, im kommenden Jahr 2009 das Anliegen der Aachener Erklärung dezentral zu diskutieren: unter Freunden beim Nähstammtisch, auf den Veranstaltungen am Lagerfeuer, oder wo immer es Ihnen und Euch angeraten scheint.

Diskutieren Sie von Angesicht zu Angesicht über Ihr Verständnis von angemessener Darstellung von Geschichte. Lehnen Sie sich nicht zurück in der Selbstgewissheit, ein „guter Darsteller“ zu sein. Jeder, der Geschichte in die Öffentlichkeit trägt, sei es als Wissenschaftler, Reenactor, oder bei einer der tausend anderen neuen Spielformen moderner Geschichtsrezeption, trägt eine große Verantwortung – denn er formt das Bild unserer Vergangenheit mit.

Deshalb müssen wir auch aufmerksam bleiben gegen jede Vereinnahmung und Verfälschung dieser Vergangenheit. Nicht um uns selbst bessere Menschen heißen zu können, sondern für unsere Zukunft.

(Der Text stammt aus der Feder der beiden Initiatoren von “Rete Amicorum”; Anm. d. Red.)

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2 Kommentare

  1. Dezentrale Diskussion findet doch schon statt?! Ein Forum wäre diesbezüglich eine schöne Sache gewesen – denn so hätten die Initiatoren dieser Aachener Erklärung (hier: “für Living History”) doch gleich das Feedback abschöpfen können – und die (sicherlich auseinander klaffenden) Meinungen übersichtlich und transparent für alle geneigten Leser greifbar.

    Gegen Spam und Netiquette-Verstöße (welche nun mal heutzutage gerne von Admins als solche definiert werden, je nach Notwendigkeit) wäre dann halt ein erhöhter Aufwand nötig. Aber das können sich professionelle Agenturen – im Gegensatz zu engagierten Laien – auch nur sehr eingeschränkt leisten.

    Kann ich nachvollziehen.

    Weiterhin viel Glück!

    26. Dezember 2008, 14:12 Uhr • Melden?
  2. Die Erklärung wird auch von etlichen, die das Anliegen zwar teilen, nicht unterzeichnet, da die Verfasser der Erklärung den Normalen Hobbyisten in einem Artikel als billige Konkurenz für Profesionelen Argenturen bezeichneten, die nicht die Zeit für eine ordentliche Recherche aufbringen können.
    Was wir hier brauchen ist eine Neutale Erklärung.
    Außerdem legen einige der Unterzeichner auf Garantie keinen wert auf eine korrekte Darstellung.

    23. Januar 2009, 22:01 Uhr • Melden?
    von Dagobert
    2

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